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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Corrilaut. Ich hatte ein ungutes Gefühl, als ich ihn mit Bernard sah, denn er berührte ihn auf eine Art, die nach meinem Geschmack zu vertraulich war. Und der Junge sah so rein und unschuldig aus, er hatte ein freundliches Wesen und war sehr folgsam. Als dieser Poitou dann wieder verschwand, fragte ich den Jungen: Was wollte dieser Mann von dir? Und er sagte: …«
    Ihre Stimme klang niedergeschlagen. »Nichts. Rein gar nichts. Nur dass Poitou ihn ermahnt habe, über diese Begegnung nicht zu sprechen. Ich forderte ihn noch einmal auf, und diesmal nachdrücklicher als zuvor, mir zu sagen, was zwischen ihnen beiden vorgefallen sei, aber der Junge wollte noch immer nichts sagen. Ich warnte ihn, dass Fremde oft Angebote machten, um kleine Kinder zu überlisten, und dass er schönen Versprechen keinen Glauben schenken dürfe, da sie selten gehalten würden. Wieder verweigerte er sich mir und verriet mir rein gar nichts. Noch einmal fragen konnte ich ihn nicht, weil ich ihn zu diesem Zeitpunkt zum letzten Mal sah.«
    Die Äbtissin und ich wechselten düstere Blicke.
    »Wann ist Euch aufgefallen, dass der Junge verschwunden war?«
    »Nicht ich bemerkte es, sondern Monsieur Rodigo. An diesem Abend suchte er den Jungen in dem Zimmer, in dem er ihn untergebracht hatte, und fand dort seinen Überwurf, seinen Rock und seine Schuhe. Aber nicht den Jungen selbst.«
    Ich lehnte mich zurück und dachte laut: »Wohin mag ein Kind ohne seine Schuhe gehen?«
    Die Äbtissin gab mir die Antwort: »Wohin sonst als an einen Ort, wo man ihm neue versprochen hat? Für einen Jungen von niederem Stand sind Schuhe kein unbedeutendes Angebot.« Dann seufzte sie tief und fügte hinzu: »Und wenn nicht Schuhe, dann etwas anderes; er wurde weggelockt von etwas, das zu erhalten er ansonsten nicht hätte erwarten können, oder zumindest erst, wenn er sich selbst eine bessere Stellung erarbeitet hätte.«
    Poitou. Der Name tönte in meinem Kopf wie eine Glocke. »Madame, Ihr sagt, dass Ihr den Jungen nicht mit diesem Poitou habt weggehen sehen, dass Ihr ihm aber böse Absichten in Bezug auf den Jungen unterstelltet. Ich frage mich, wie Ihr zu dieser Annahme kamt?«
    Nun hob sie die Stimme. »Das war recht offensichtlich, Mère, so schändlich und gottlos war die Art, wie er den Jungen behandelte … und was hätte ihm dieses Kind denn bringen können? Ich kann nur annehmen, dass er ihm Böses wollte. Eine Frau weiß so etwas.«
    Das tun wir wirklich, auf eine unbegreifliche Art. Behutsam, um sie nicht zu sehr aufzuregen, fragte ich weiter: »Glaubt Ihr, Madame, dass Bernard einfach weggelaufen sein könnte? Jungen in diesem Alter tun das oft. Vor allem jene mit einem wachen Geist, wie es ja bei diesem Jungen der Fall zu sein scheint.«
    »Diejenigen, die es können, kehren fast immer zurück, Mère, nachdem sie ihren Spaß gehabt haben. Es ist eine grausame Welt, wenn man sie alleine durchwandert.«
    Wie Recht sie hatte. »Vielleicht waren ihm seine Studien zuwider, und er wollte seinem Vater nicht seine Unzufriedenheit gestehen.«
    Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Er sprach oft davon, wie sehr ihm das Studium gefalle. Latein wollte er auch noch lernen. So viel der Vater mit ihm vorhatte, so viel hatte er auch mit sich selbst vor.«
    »Hätte es irgendeinen anderen Grund für sein plötzliches Verschwinden geben können – war Monsieur Rodigo vielleicht unbarmherzig zu ihm oder zu streng in den Vorschriften seiner Unterbringung?«
    »Monsieur Rodigo ist der gütigste und liebenswürdigste Mann in diesem Dorf. Er war anständig und großzügig zu Bernard, und das Verschwinden des Jungen bekümmert ihn sehr.«
    Ich stellte noch ein paar Fragen, doch alle ohne große Bedeutung, und so kamen wir zu keinem Beschluss in Bezug auf den verschwundenen Jungen. Ich dankte Madame Sorin für ihren Bericht, und sie verließ unter Verbeugungen das Zimmer.
    Die Begegnung hatte mich erschöpft. Offenbar sah man mir das an, denn die Äbtissin beeilte sich, mir Erfrischungen anzubieten – vor allem eine frische Tasse ihres Gebräus. »Es gibt auch Gebäck«, fügte sie hinzu.
    Ich lehnte alles ab. »Mein Magen ist im Augenblick ein wenig verstimmt.«
    Die Äbtissin sagte: »Es wäre klug, wenn Ihr eine Erfrischung zu Euch nehmt, solange Ihr noch die Gelegenheit dazu habt.«
    »Aber ich bin nicht hungrig«, sagte ich.
    »Ich glaube, Ihr werdet es sein«, sagte sie. »Oder aber Ihr verliert gänzlich den Appetit.«
    Die Antwort war mir ein Rätsel.

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