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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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mir noch eine Kanne ihres wunderbaren thé aufgetragen hatte, der die merkwürdige Wirkung hatte, mich zu beleben, aber nicht trunken zu machen. Zwar trat ich den prächtigen Steinboden zwischen dem Esstisch und dem Abtritt förmlich aus, weil ich mich etliche Male erleichtern musste, fühlte mich aber trotz meiner düsteren Mission wunderbar lebendig und begrüßte meine Besucherin überschwänglich.
     
    » Marguerite Sorin«, sagte die Äbtissin, als die Frau hereingeführt wurde. »Madame ist Kammerzofe. Bisweilen arbeitet sie in dem maison, das zu unserem Kloster gehört, aber auch für eine Reihe geachteter Familien des Ortes.«
    Madame Sorin verbeugte sich und nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz, und dann wandte sich die Äbtissin, meine sœur de Dieu, taktvoll zum Gehen.
    »Mutter, bitte bleibt doch, wenn Ihr wollt.«
    Sie schien erfreut über die Einladung und nahm wieder Platz.
    Ich wandte mich der Frau zu, die gekommen war, um mit mir zu sprechen. »Madame Sorin«, sagte ich, »wie schön, dass Ihr gekommen seid.«
    Die Frau nickte eifrig. »Ich konnte nicht anders, nach dem, was die junge Schwester gesagt hat.«
    Ihre Ausschmückungen konnte ich mir bereits gut vorstellen. »Ihr habt also eine Geschichte zu erzählen, in Bezug auf ein verschwundenes Kind?«
    » Oui, Mère, das habe ich.«
    Meine erste Frage lautete: »Wie heißt das Kind?« Es war zwar ohne große Bedeutung, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, es würde in mir besser Gestalt annehmen können, wenn ich seinen Namen wüsste.
    »Bernard le Camus«, sagte sie. »Er ist – oder war, wie es sich wohl leider erweisen dürfte – kein Junge aus dem Ort. Er war – ist – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – aus der Bretagne. Letztes Jahr kam er aus Brest hierher, wo seine Familie lebt, um bei Monsieur Rodigo zu wohnen. Der Junge war hier, um Französisch zu lernen, da er zu Hause nur Bretonisch gelernt hatte, und sein Vater meinte, es sei ein großer Nachteil, nur eine Sprache zu sprechen, vor allem diese. Er hatte viel vor mit dem Jungen, soweit wir das inzwischen erfahren haben.«
    »Ein kluger Vater, zumindest in dieser Entscheidung.« Wenn der Junge nur Bretonisch sprach, würde er es nicht sehr weit bringen.
    »Wie alt ist dieser Knabe?«
    »Nach Angaben des Vaters dreizehn, als er verschwand. Er kam letztes Jahr hierher, um nach dem Jungen zu sehen, vielleicht einen Monat, nachdem er verschwunden war. Inzwischen dürfte er vierzehn sein, ich habe allerdings vergessen, den Vater nach dem Monat und dem Tag seiner Geburt zu fragen. Es ging ihm sehr schlecht, als wir das letzte Mal miteinander sprachen.«
    Das konnte ich verstehen. »Wie habt Ihr diesen Jungen kennen gelernt?«
    »Monsieur Rodigo hatte mich angestellt, damit ich mich um den Jungen kümmere. Ich ging jeden Morgen hin, um ihm sein petit déjeuner zu machen, den Nachttopf zu leeren, seine Wäsche zu waschen und zu flicken, eben all das zu tun, was seine Mutter oder Amme getan hätte, und natürlich freundeten wir uns an, der Junge und ich. Sein Französisch war noch sehr schlecht, besserte sich aber schnell. Irgendwie schafften wir es, einander zu verstehen. Ich habe keine Söhne – Töchter allerdings genügend –, und deshalb war das für mich eine angenehme Abwechslung.«
    »Man spürt, dass Euch sein Wohlergehen sehr am Herzen lag.«
    »Ich kümmerte mich um ihn, so gut ich konnte. Aber ich konnte nicht jeden Augenblick über ihn wachen.« Tiefer Schmerz und Bedauern zeigten sich in ihrem Gesicht.
    Ich kannte das Gefühl sehr gut und bemühte mich, sie zu trösten. »Natürlich nicht, meine Tochter. Ihr dürft Euch keine Selbstvorwürfe machen. Gott erwartet keine allumfassende Wachsamkeit.«
    »Gott nicht, aber ich«, sagte sie traurig. »Eines Tages sah ich Bernard mit einem Fremden reden; es muss im August gewesen sein, aber ziemlich spät in diesem Monat. Die Störche auf den Hausdächern waren bereits unruhig und rüsteten sich für den Aufbruch. Es war ein merkwürdig aussehender Mann, obwohl Mann gar nicht so recht passt – er war sehr zierlich und fast weiblich von Gestalt. Zuerst dachte ich, es könnte eine Frau in Männerkleidern sein – aber mon Dieu, wer würde so etwas tun, außer bei den Festen und Turnieren, wo es unter den Hochgeborenen manchmal Mode ist. Später erfuhr ich den Namen dieses Mannes – er nennt sich Poitou, was allerdings ein Kunstname nach seiner Geburtsstadt ist, wie ich herausgefunden habe –, sein richtiger Name ist

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