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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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in Jean de Malestroits Richtung, aber seine Miene war nicht zu entziffern. Ich machte meinen Ausdruck unmissverständlich: Bitte, lasst uns hören, was sie zu sagen haben …
    Schließlich nickte er. Wir wendeten unsere Pferde und folgten La Roche.
     
    Es zeigte sich sehr schnell, dass wir nichts zu befürchten hatten; zu den sieben gehörten drei Frauen, ein Mann, der ziemlich alt zu sein schien, und halt der Priester. Die beiden anderen waren kräftige Männer, aber beide unbewaffnet.
    Nach vielen Verbeugungen und Knicksen der Gruppe sagte Seine Eminenz: »Ihr habt einen weiten Weg zu Fuß zurückgelegt, um Eure Geschichte zu erzählen.«
    »Wir kommen im Andenken an ein Kind. Da wird der Weg uns nicht lang.«
    Jean de Malestroit betrachtete die Gruppe einen Augenblick lang und fragte dann: »Ist einer von Euch Vater oder Mutter des Kindes?«
    »Nein«, antwortete der Priester. »Es war ein Waisenknabe.«
    Eine der Frauen sagte: »Seine Mutter starb bei seiner Geburt.«
    Davor fürchtete sich jede Mutter, wenn die Wehen einsetzten.
    »Was ist mit dem Vater?«, fragte ich.
    Wieder antwortete La Roche. »Er starb vor zwei Jahren, an der Schwindsucht. Eine Zeit lang bemühte er sich, den Jungen aufzuziehen, und es gelang ihm auch, bis seine Krankheit ihn übermannte.«
    Eine andere Frau sagte: »Der Vater war mein Stiefbruder, und als er seinen Tod nahen spürte, bat er mich, ich solle mich selbst um den Knaben kümmern oder eine gute Familie für ihn finden, falls ich ihn nicht behalten könnte. Aber ich hatte nicht die Mittel, noch ein hungriges Maul zu stopfen.« Sie senkte beschämt den Blick.
    »Unsere ganze Gemeinde hat sich um ihn gekümmert«, fuhr der Priester fort. »Der Knabe wuchs uns sehr ans Herz. Er hatte einen wachen Verstand und fing eben mit großer Begeisterung an, Latein zu lernen. Mir deuchte, er habe sogar das Zeug zum Priester, denn er war sehr fromm.«
    Jean de Malestroit schien über all das nachzudenken, sagte aber nichts.
    »Also haben wir einen Sohn verloren«, sagte La Roche, »aber vielleicht hat Gott auch einen Diener verloren.«
    »Wir sind alle Diener Gottes, Bruder.«
    Der Priester schaute mich an, als er fortfuhr. »Ich weiß, es ist höchst unziemlich, dass wir alle vorsprechen, Mutter, aber er hat sonst niemanden mehr, der für ihn spricht.«
    »Dann müsst Ihr es tun«, sagte ich.
    Nun redeten alle durcheinander.
    Er war ein guter Junge, trotz seiner misslichen Lage. Immer eine Freude für alle, die ihn kannten. Ein guter Junge, ein braver Junge.
    Und der letzte Satz, gesprochen von einer jungen Frau: »Wir wissen, dass andere verschleppt wurden. Man kann es nicht länger leugnen.«
    Sie essen dort kleine Kinder.
    »Wie hieß er?«, fragte der Bischof schließlich.
    »Jacques, durch die Taufe«, antwortete ihm der Priester. »Aber wir nannten ihn Jamet, aus Zuneigung. Der Name seines Vaters lautete Guillaume Brice.«
    »Wann verschwand er?«, fragte Seine Eminenz weiter.
    Der Priester schaute wieder mich an, doch es war der Bischof, der gefragt hatte. Ich fragte mich, ob Schwester Claire es irgendwie kundgetan hatte, dass man bei mir ein offenes Ohr finden würde.
    »Zum letzten Mal wurde er vor über einem Jahr gesehen«, sagte er. »Im Februar. Er gab gern jenen etwas zurück, die für ihn sorgten. So ging er eines Tages weg, um Almosen zu erbetteln, und kehrte nicht zurück.«
    »Wurden Nachforschungen angestellt?«
    Die S tief tante des Knaben sagte: »Überall in der Umgebung, und auch darüber hinaus. Er war der Letzte unserer Familie, und nur durch ihn hätte der Name seines Vaters – und auch der meines Vaters – bewahrt werden können. Wir wollen nicht, dass Jamet einfach in Vergessenheit gerät, wie es bei den anderen geschah, als man sie nicht finden konnte. Wir wollen, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt.«
    Es war dieselbe enttäuschte Verbitterung, die ich auch bei den anderen Klagen gehört hatte. Aber diesmal war eine ganze Gemeinde zugunsten eines Jungen aufgestanden, der in Wahrheit niemandes Sohn war. Die Hoffnungen und Erwartungen dieser Menschen hingen in der Luft wie Nebel und hüllten uns ein.
    »Ich werde mich der Sache annehmen«, sagte der Bischof schließlich.
    Die Tante des Knaben trat vor. »Wann werden wir von Euch hören?«
    Dies schien Jean de Malestroit zu überraschen – eine solche Unverblümtheit war er von seinen Bittstellern nicht gewohnt. Aber die allgemeine Empörung der Menschen war eine Kraft, deren Macht er gut verstand. Er antwortete:

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