Die Schreckenskammer
einen Ringkampf anfing, in dessen Verlauf sämtliche Frisuren in ziemliche Unordnung gerieten. Es dauerte nicht lange, bis wir alle grinsend und keuchend auf dem Rücken lagen.
Schließlich bekamen wir die Wäsche sortiert und die erste Ladung in die Maschine. Ich legte eine Beatles-CD auf, denn es war mir seit längerem ein Anliegen, die Begeisterung für die Musik der Sechziger, die mein älterer Bruder mir beigebracht hatte, an meine Kinder weiterzugeben. Es freute mich immer sehr, dass sie die meisten Texte gut genug kannten, um sie mitsingen zu können. Ich kontrollierte die Hausaufgaben der drei, und danach gab es gegrillte Käse-Sandwiches.
Julia und Frannie schliefen vor dem Fernseher ein. Ich packte mir Frannie auf die Schulter. Nicht mehr lange, und sie würde zu schwer sein dafür. Unterwegs in ihr Zimmer musste ich noch einmal stehen bleiben und ins Wohnzimmer zurückschauen. Dort war mein wunderbarer Sohn und tat etwas sehr Einfühlsames: Er hatte sich seine kleine Schwester, wie ich Frannie, auf die Schulter genommen und folgte mir den Gang entlang.
Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht zu weinen.
Natürlich musste ich ihn mit Küssen besabbern, als er ein wenig später selbst ins Bett ging. Und natürlich war er angewidert von diesem Exzess an mütterlicher Liebe. Mir war es egal. Als alle schliefen, räumte ich die Küche auf, weil es an einem Montagmorgen nichts Schlimmeres gibt als die Schweinerei vom sonntagabendlichen gegrillten Käse. Danach sammelte ich meine Akten und Ordner zusammen und steckte sie in meine immer dicker werdende Aktentasche.
Erkinnens Buch starrte mich vom Nachttischchen her an, als ich unter die Decke schlüpfte. Ich schaute es an und dachte: Für heute reicht’s, nahm es aber dann trotzdem in die Hand und fing an zu lesen. Nach ein paar Minuten machte ich mir die ersten Notizen. Am nächsten Morgen wachte ich mit der Wange auf dem aufgeschlagenen Buch auf. Es gab so unendlich viele Dinge, die ich noch wissen musste.
Zwei der drei noch verbliebenen Fallakten lagen am Montagmorgen in meinem Postfach. Ich fragte mich, ob ich selbst auch so schnell die Kontrolle über so etwas aufgegeben hätte, wie die ursprünglich mit diesen Fällen beschäftigten Detectives es offensichtlich taten. Aber was die Karriere anging, war es sinnvoll, denn man hat nur sehr ungern zu viele ungelöste Fälle auf dem Tisch liegen. Einzeln betrachtet, war bei allen diesen Fällen keine schnelle Aufklärung in Aussicht. Und trotz meiner Entdeckung, dass ein Zusammenhang zwischen ihnen allen bestand, konnte es durchaus sein, dass auch ich sie nicht lösen konnte. Dadurch würde zum ersten Mal in meiner Laufbahn mein Aufklärungsquotient auf den Durchschnitt sinken. Ich rief die Familien der Opfer eine nach der anderen an, um mich vorzustellen. Den Wechsel des Ermittlungsleiters erklärte ich mit »Arbeitsumschichtungen«. Die meisten, mit denen ich sprach, waren sehr verständnisvoll und gern bereit, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich schaffte es, mit der Mutter eines weiteren Opfers einen Gesprächstermin für den späten Nachmittag – nachdem ich Frannie in der Tanzstunde abgeliefert haben würde – auszumachen. Die meisten der Anrufe liefen, den Umständen entsprechend, gut, aber es gab auch eine sehr gespannte Unterhaltung, die mich deprimierte. Der angebliche Täter, der Vater des verschwundenen Jungen, war völlig durchgedreht, nachdem er als Verdächtiger verhört worden war. Sein Alibi war das wackligste von allen – er war allein zur Arbeit gefahren. Ein ganzer Monat war vergangen, bevor jemand herausfand, dass er von der Überwachungskamera einer Mautstation aufgenommen worden war, einer, die erst kurz zuvor installiert worden war, um Nichtzahler überführen zu können. Die Mutter sagte mir, dass die Detectives ziemlich aggressiv gegen ihren Mann vorgegangen seien, was sie auch tun mussten, vor allem, da die Beweislage – in diesem Fall ein extrem verlässlicher Augenzeuge – so deutlich auf ihn hinwies. Der Mann beging drei Monate nach dem Fall Selbstmord und hinterließ seine Frau nicht nur als Witwe, sondern auch kinderlos, denn der verschwundene Junge war ihr einziges Kind gewesen. Ich musste dieses Monster einfach schnappen. Unbedingt.
»Überprüfen Sie alle bekannten Sextäter in der Gegend, bevor Sie irgendwas anderes tun«, sagte Fred.
»Ach, kommen Sie, Fred, das bringt doch nichts. Von wegen unnötiger Kleinarbeit …«
»Sie müssen sich den Rücken decken,
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