Die Schreckenskammer
aus der Deckung herausritt. Unser tonsurierter Bruder in Christus Jean le Ferron war offensichtlich aus der Kirche gezerrt, vor aller Augen auf die Knie gezwungen und mit einem Knüttel geschlagen worden.
»Seine Hände und Füße waren in Ketten«, berichtete Frère Demien. »Die Leute sagen, er wurde dann, zerschunden und blutig, als Gefangener in seine eigene Kirche zurückgeschleift. Einige der Zeugen weinten, als sie es mir erzählten. Einige, die diese Schandtat gesehen hatten, konnten sich nicht überwinden, überhaupt zu sprechen.«
»Ungeheuerlich«, fauchte Seine Eminenz leise. »Dass dieses Besitztum auf solch niederträchtige Art eingenommen wurde. Wir werden augenblicklich Maßnahmen ergreifen.«
Ich sah den Zorn in seinen Augen, die unverwandt auf dem Sprecher ruhten; ich kenne keinen Mann, der so genau darauf achtet, was ihm gesagt wird, noch einen, der das Gesagte mit größerer Wucht wiedergeben konnte. Wissen ist meine Macht, sagte er oft, da ich kein Schwert trage. Aber so sehr ich diesen Mann bewunderte, ja liebte – unschickliche Gefühle im besten Fall –, und Zorn für angebracht hielt, glaubte ich doch, dass er aus dem falschen Grund zornig war.
»Jean«, sagte ich sehr leise. Als er seinen Taufnamen hörte, drehte er sich schnell um.
» Oui, Guillemette?«
»Findet Ihr es nicht bedauerlich, dass wir, wenn ein Schloss verloren geht, den Schuldigen mit mehr Nachdruck verfolgen, als wir es mit dem Schänder unserer Kinder tun?«
Er wandte den Blick wieder ab und grummelte unverbindlich. Meine Unzufriedenheit wuchs.
Ich betete, so ernsthaft wie mein beinahe heidnisches Gewissen es gestattete, für die Seele von Gilles de Rais und bat Gott, mir zu zeigen, dass er nicht war, was er geworden zu sein schien – ein Ungeheuer, ein Dämon, ein Anbeter des Satans. Ich flehte Gott gegen mein besseres Wissen an, er möge enthüllen, dass das alles nicht stimmte und Milord, auf den ich Einfluss wie eine Mutter gehabt hatte, sich als schuldlos erweise. Ein solcher Ausgang schien mit jeder neuen Enthüllung über seinen Charakter unwahrscheinlicher. Aber eins wusste ich mit Gewissheit: Herzog Jean lagen die Schlösser seiner Kameraden mehr am Herzen als die Kinder der Menschen, die in ihrem Schatten lebten. Und das war etwas, dem man mit Empörung begegnen musste.
Gegen Mitte des Nachmittags hatte unsere Wachsamkeit ein wenig nachgelassen; die Gefahr, in unserem Waldversteck entdeckt zu werden, erschien sehr klein. Milord Gilles’ Männer schienen viel zu sehr mit sich selbst (und der weiteren Verstümmelung der Katzenhälften) beschäftigt, um auch nur ein einziges Mal in unsere Richtung zu blicken. Unsere Pferde, denen die Tatenlosigkeit viel mehr zusagte als den Reitern, gaben keinen Laut von sich. Die Stille war verblüffend, und doch hörte niemand außer mir, dass ein Mann sich durch den Wald näherte. Und nur, weil ich in meiner Satteltasche stöberte und deshalb leicht nach hinten gebeugt saß, hörte ich die leise Bewegung im Unterholz.
Ich behielt einen kühlen Kopf, beendete meine Suche in der Satteltasche und drehte mich wieder um. Dann täuschte ich eine leichte Ohnmacht vor, so dass Seine Eminenz sich zu mir beugte und mich ergriff. Ich nutzte seine Nähe und flüsterte: »Hinter uns lauert ein Mann. Ich konnte ihn nicht deutlich sehen, aber ich weiß, dass er da ist.«
Mit ähnlicher Geistesgegenwart richtete der Bischof sich wieder auf, aber langsam, um unseren versteckten Beobachter nicht argwöhnisch zu machen, und wandte sich an einen der Männer. Er richtete den Blick nachdrücklich auf dessen Schwert und deutete mit einer leichten Kopfbewegung nach hinten.
»Da hinten, im Unterholz«, hörte ich ihn sagen, doch seine Worte waren so leise, dass der Eindringling sie unmöglich gehört haben konnte. Der Mann schloss, zum Zeichen, dass er verstanden hatte, langsam die Augen und öffnete sie wieder.
Nach einigen Augenblicken sagte der Mann: »Euer Eminenz, wenn Ihr gestattet … darf ich für einen Augenblick absitzen?«
Jean de Malestroit nickte übertrieben und sagte: »Natürlich.«
Der Mann stieg ab, nestelte ein wenig an seinem Beinkleid herum, als wollte er sich erleichtern, und ging dann in die Richtung des Unterholzes hinter mir. »Mutter, ich bitte um Eure Nachsicht …«
»Ich werde nicht hinsehen«, sagte ich.
So ging er ins Unterholz, seine Hand scheinbar an seinem Gemächte, doch tatsächlich viel näher am Heft seines Schwerts. Ich hörte ein Schaben, als
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