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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Telefonnummer, die ich angegeben hatte.
Ich klingelte, bevor ich mir aufschloß.
50
    »Wir müssen aufhören, uns auf diese Weise zu treffen«, sagte
sie am nächsten Morgen, während sie sich auf meine Seite des
Bettes herüberlehnte und mir sanft über die Schrammen im
Gesicht streichelte.
Ich zog eine Grimasse.
    »Ich meine es ernst!« sagte sie. »Eines Tages rufen sie mich,
damit ich dich in Einzelteilen aufsammle.«
»Hauptsache, daß du keins davon verlierst«, sagte ich versuchshalber.
»Das ist nicht witzig!«
Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen.
»Wollen wir Kaffee trinken?«
»Aber es hat ja keinen Zweck, dir Vernunft einzubleuen! Du
bist genau wie –« Sie nahm sich zusammen, aber ich wußte, was
sie hatte sagen wollen: genau wie Siren.
»Die Journalistin, die umgebracht wurde, du kanntest sie gut,
stimmt’s?«
»Nicht so gut wie das hier.«
»Weißt du – wissen sie – wer es getan hat?«
Ich sah zur Seite. Tja, gute Frage!
»Wenn es meine Schuld gewesen sein sollte, daß sie … Dann
sind es zwei in den letzten vierundzwanzig Stunden, für deren
Tod ich die Verantwortung trage.« Ich sah mit schweren Lidern
zu ihr auf. »Ich kann fast schon die Last auf meinen Schultern
fühlen.«
Das Licht vor ihren Fenstern war grell und weiß. Das Thermometer war plötzlich um zehn Grad gestiegen, die
Schneeschicht vom Vorabend war geschmolzen, durch das
offene Schlafzimmerfenster hörte man Vogelgezwitscher aus
den Bäumen im alten Schulgarten – es lag eindeutig Frühlingsstimmung in der Luft. Der März stand ungeduldig trippelnd
hinter der nächsten Ecke, erwartungsvoll wie ein junges Mädchen auf dem Weg zu seinem ersten Rendezvous.
Außerdem war Samstag, und wir hatten soviel Zeit wie wir
wollten, um zu frühstücken. Wir brieten Spiegeleier und Speck,
schnitten Tomaten und ließen sie kurz in dem Fett dünsten,
bevor wir sie auf unsere Teller legten. Wir tranken Milch und
Kaffee, aßen Brot mit Honig und Hagebuttenmarmelade, teilten
uns die Samstagszeitung und lasen sie so langsam, daß es
aussehen mochte, als suchten wir nach etwas Bestimmtem,
einem verschlüsselten Text.
Laila Mongstad war wieder auf der Titelseite gelandet, aber
dieses Mal nicht als Autorin. Sie hatten noch nicht einmal ihren
Namen veröffentlicht. Der Fall wurde vorläufig unter dem
abgehandelt, was sie einen ›abendlichen Einbruch ins Verlagshaus‹ nannten. Es war noch zu früh, um mit Bestimmtheit zu
sagen, ob es ein Zufall war, daß eine ›Journalistin der Spätschicht‹ dem Täter zum Opfer fiel oder ob der Anschlag gegen
diese Journalistin persönlich gerichtet war.
Alles, was ich über den anderen Fall fand, war eine kleine
einspaltige Meldung, die lautete:
» Toter in Sandviken gefunden. Ein Mann in den Fünfzigern
wurde spät gestern abend verunglückt auf einem Industriegelände in Sandviken gefunden. Der Tote war der Polizei bekannt.
Der Wachhabende der Kripo, Kommissar Arvid Paulsen, will
vorläufig keinen Kommentar zu dem Vorfall abgeben, außer daß
die gewöhnlichen Untersuchungen vorgenommen werden.«
Karin schob mir ihren Teil der Zeitung über den Tisch und
sagte: »Heute steht die Todesanzeige für diesen Richter drin.«
»Aha?«
Ich drehte die Zeitung herum und las:
    †
Mein lieber Mann, unser geliebter Vater und
Großvater, mein Bruder
Hermann Christoffer Brandt
ist plötzlich von uns gegangen
Bergen, den 12. Februar
Tora
Elisabeth – Lars
Henning – Live
Ole-Petter, Terja, Anne
Elisabeth, Gro Therese
Hugo Andreas
Bitte keine Blumen
Die Beisetzung hat in aller Stille stattgefunden.
    »Tora«, sagte ich, wie zu mir selbst. »T für Tora.«
Karin sah mich über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an.
»Wovon sprichst du?«
»Ach, ich hab nur laut gedacht.«
Nach dem Frühstück duschte ich lange und heiß, während
    Karin unterwegs war, um weitere Zeitungen zu kaufen. In den
Osloer Artikeln wurde der Mord an Laila Mongstad ausführlich
behandelt und auch ihr Name genannt. Sie hatten sogar aus
einem der Mitgliederkataloge des Presseverbands ein zehn Jahre
altes Foto von ihr ausgegraben. In einer Zeitimg stand ein
ausführliches Interview mit einem ›Kollegen der Spätschicht‹,
Bjørn Brevik, der nicht ausschloß, der Mord könnte damit in
Zusammenhang stehen, daß Laila Mongstad in den letzten
Monaten intensiv an einer enthüllenden Reportage über das, was
er ›die Unterwelt der Stadt‹ nannte, gearbeitet hatte. Der
Chefredakteur der Zeitung

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