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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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keine weitere Chance. Ich sagte kein Wort Jetzt
war ich an der Treppe angekommen und fühlte die unterste
Stufe an den Zehen. Ich bewegte die linke Hand, suchte nach der
Wand.
Da …
Mit dem Unterarm an der Wand stieg ich die Treppe hinauf
zum ersten Absatz, weiter nach rechts, bis ich an eine weitere
Wand kam, und noch einmal nach rechts.
Unter mir hörte ich schwere Schritte auf der Treppe. »Du
entkommst mir nicht, du Dreckskerl! Jetzt hab ich dich!«
Ich war im ersten Stock. Von einem Fenster hoch oben fiel
schwaches Licht in den großen, offenen Raum. Direkt an der
Tür stand eine große Metalltonne. Ich stemmte den Fuß dagegen
und trat zu. Mit einem Knall fiel sie um und rollte in den Raum
hinein.
Im Schatten des Lärms lief ich weiter nach oben.
Es schien die erhoffte Wirkung zu haben. Verwirrt blieb er in
der Türöffnung stehen und lauschte dem Geräusch der rollenden
leeren Tonne nach.
»Veum! Komm raus! Ich seh dich!« rief er.
Aber ich dachte gar nicht daran. Ich war schon im zweiten
Stock. Und jetzt konnte ich sehen, wo ich war.
Hier waren die großen, eingeschlagenen Fensteröffnungen,
nackt gegen die Nacht. Die Meeresluft schlug mir durch den
langen Korridor entgegen, der zu kleinen Abteilen führte,
wahrscheinlich dem, was einmal der Bürotrakt der Fabrik
gewesen war. Ich trat in den Korridor, blieb stehen und sah mich
um.
Er mußte seine Taktik geändert haben. Jetzt hörte ich ihn nicht
mehr.
Ich ging ans Ende des Korridors, wo eine intakte Scheibe aus
mattem Verbundglas die Aussicht versperrte. Es mußte doch
irgendwo eine Hintertreppe geben?
Plötzlich stand er oben an der Treppe, wie ein massiver Schatten im Halbdunkel. In seiner einen Hand blitzte etwas. An der
anderen hing …
Er atmete schwer.
… eine Fahrradkette?
Wir standen da und starrten einander wie zwei Boxer an, jeder
von seinem Ende eines länglichen Kampfareals, zurückgehalten
von der Furcht voreinander.
Ich fühlte mich nackt, wie ich da stand, auf Socken und mit
nichts weiter als dem kleinen Stück Brett mit dem spitzen Nagel,
um mich zu verteidigen.
»Jetzt bist du am Ende, Veum.«
»Buchstäblich. Sollen wir nicht sagen, unentschieden? Dann
gehen wir beide unserer Wege und bleiben dieselben alten
Freunde?«
»Und wann zum Teufel waren wir alte Freunde?«
»Na ja, da magst du –«
»All die Jahre, die ich gesessen hab, hab ich mich auf den
Augenblick gefreut, wenn wir uns wiedertreffen würden, in
einem dunklen Raum und nichts weiter auf dem Programm, als
miteinander abzurechnen.«
»Ich habe keine Rechnung o …«
»Aber ich!!!« Er kam ein paar Schritte näher.
Ich spannte die Hand um das Brett. »Also warst du auch an
diesem Komplott beteiligt, Messer?«
»Ich bin Scheiß noch mal an keinem Komplott beteiligt! Ich
bin nach Bergen zurückgekommen, um hierzubleiben. Aber
damit ich mich in der Stadt wohl fühlen kann, muß einer weg,
muß eine Ratte vernichtet werden, und das bist –« Er schwenkte
die eine Hand in meine Richtung, so daß die Fahrradkette
klirrte.
Ich hob das Brett. »Du mußt den Alten nicht alles glauben.
Diese Stadt ist mehr als groß genug für uns beide.«
»Ich bin schon zu weit gegangen, Veum.«
»Ja, das kann sein. Schade, daß du gestern abend nicht etwas
besser getroffen hast.«
»Ach ja?«
»Das gilt auch für deinen Sohn! Er wird als Mittäter angeklagt!«
»Keiner wird jemals den Zusammenhang verstehen!«
»Ach nein? Muus weiß von dem Drohbrief! Und was, wenn
sie deine Fingerabdrücke in dem gestohlenen Sattelschlepper
finden?«
»Bjelland hat versprochen, mir ein Alibi zu verschaffen. Er
…«
»… ist Experte in solchen Dingen. Vielen Dank, das weiß
ich.«
Plötzlich und unerwartet machte er einen Vorstoß. Er schwang
die Fahrradkette vor sich durch die Luft, während er das Messer
von der Seite her in tödlicher Stellung vorstreckte: mit der
Spitze nach oben.
Ich schützte mich mit dem Brett. Die Fahrradkette biß sich
darin fest, und ich machte eine ruckartige Bewegung, um ihn
aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das glückte nur zum Teil.
Ich bewegte mich vorwärts, in der Absicht, um ihn herum zu
kommen. Er zog die Fahrradkette an sich, und jetzt war ich es,
der das Gleichgewicht verlor. Das Messer blitzte auf, ich griff
nach dem nächsten Türrahmen, hielt mich fest und wurde
seitwärts in den Raum hineingeschleudert.
Ein rauher Seewind schlug mir entgegen. Schockartig ging mir
auf, daß das Büro keine vierte Wand hatte. Ich stoppte abrupt

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