Die Schrift an der Wand
das haben wir dann auch gemacht.«
»Welcher Laden war das?«
»Die Lederboutique.«
»Und dann kaufte er dir eine neue?«
Sie nickte. »Mmh.«
»Als eine Art Belohnung?«
»Ja, stellen Sie sich vor! Eine Belohnung dafür, daß ich freiwillig mitgekommen war, daß ich es zugegeben hatte, und weil
er … Irgendwie hat er wohl kapiert, daß ich eine brauchte!«
»Eine neue Lederjacke?«
»Ja!«
»Ich verstehe …«
»Das …!« Aber diesmal unterbrach sie sich selbst. »Sind wir
jetzt fertig?«
»Nicht ganz.«
Ich hielt inne, und sie sah mich ungeduldig an. »Ich muß
zurück in den Unterricht!«
Ich lächelte leicht, als sei es das erste Mal, daß ich eine Schülerin der Mittelstufe so etwas sagen hörte. »Es war doch
Donnerstag, stimmt’s? Als du sie das letzte Mal gesehen hast?«
Sie wurde rot. »Na ja, kann schon sein!« Sie stand auf und
ging zur Tür. Ohne sich umzusehen, fügte sie hinzu: »Wenn Sie
es sagen!«
Sie versuchte, die Tür mit Schwung hinter sich zuzuknallen,
aber die war nicht dafür konstruiert. Sie glitt nur einfach mit
einem leisen Seufzer ins Schloß, wie hinter einem resignierten
Klassenlehrer.
5
Sidsel Skagestøl öffnete die Tür hastig, als glaubte sie, es wäre
Torild, die an der Tür geklingelt hätte.
Als sie sah, wer es war, trat sie zur Seite. »Kommen Sie herein.«
Sie sah mich fragend an. »Haben Sie etwas …?«
»Nein, leider. Noch nichts Konkretes. Ich …«
»O Gott! Ich habe solche Angst, Veum. Wo kann sie denn
sein?«
»Das müssen wir versuchen, herauszufinden.«
»Ja … natürlich. Entschuldigen Sie.«
»Ich verstehe Sie doch.«
Sie trug Jeans und eine weiße Hemdbluse, von der ich unter
dem blauen Wollpullover nur den Kragen und die Manschetten
sah. Ihr Haar war locker und luftig, als hätte sie es gerade
gewaschen und gefönt, und sie bewegte sich mit einer jungmädchenhaften Anmut durch den Raum, einer Mischung aus
Schüchternheit und Sinnlichkeit.
Sie wies mit der Hand zur Garderobe. »Sie können da ablegen.«
Ich tat, was sie mir sagte, folgte ihr durch den Flur, an der
Küche vorbei, die nach hinten hinaus lag, und gelangte in ein
großes, offenes Wohnzimmer, das ebenso großzügig möbliert
war wie der Ausstellungsraum eines Möbelgeschäfts. Eine
pflaumenfarbene Ledergarnitur füllte den Raum vor den großen
Fensterfronten nach Süden und Osten, während eine Eßecke in
dunkelbrauner Eiche den Schwerpunkt am anderen Ende des
Raumes, direkt vor der Küchentür bildete. Mitten im Raum
standen ein weiteres Ecksofa und drei Sessel in Dunkelgrün bei
einem flachen, schwarzen Couchtisch. Es sagt etwas über die
Größe des Raumes, daß er trotzdem nicht überfüllt wirkte. Es
gab reichlich freie Fläche, wo sich die Kinder tummeln konnten,
wenn man sie ließ.
Aus einem Radio, zentral plaziert in einem großen, dunklen
Wandregal, strömten vormittagsfrische Klänge in den Raum. Sie
hatte auf dem dunklen Couchtisch für zwei gedeckt. »Ich habe
ein paar Brötchen geschmiert und Wasser aufgesetzt. Jetzt muß
nur noch der Kaffee durchlaufen, dann – Wenn Sie möchten?«
»Danke, gern.«
»Da liegen Zeitungen …« Sie zeigte auf die zwei Bergenser
Zeitungen, die zusammengefaltet neben dem weißen Kaffeeservice lagen, als sei sie eine Sekretärin, die für ihren Chef einen
Lunch zubereitet hatte.
Ich blätterte ein wenig in einer Zeitung, während sie in der
Küche war und den Kaffee kochte. In Møhlenpris hatte es eine
Drogenrazzia gegeben, und zwei Fünfzehnjährige hatten am Tag
davor gegen 15.30 Uhr eine Post in Åssane überfallen. Die
Razzia endete damit, daß zehn Personen verhaftet wurden, weil
sie im Besitz unterschiedlicher Mengen von Drogen waren,
hauptsächlich Haschisch und Tabletten. Die beiden Fünfzehnjährigen wurden eineinhalb Stunden später festgenommen,
nachdem sie gerade mal achtzig Kronen für Hamburger und
Cola an einem Kiosk ausgegeben hatten. Im letzten Jahr waren
in Bergen zwei neue Fälle von Aids registriert worden, beide aus
dem Drogenmilieu, und die Gesundheitsbehörde warnte, daß es
für Heterosexuelle keinen Grund gäbe, sich sicherer zu fühlen
als für Homosexuelle.
Da waren die Comics schon lustiger.
Sidsel Skagestøl kam mit einer weißen Thermoskanne in der
einen und einem Teller mit aufgeschnittenen Brötchen in der
anderen Hand zurück. Sie stellte den Teller ab und schenkte uns
beiden Kaffee ein, nachdem ich die Frage, ob ich etwas hinein
haben wolle, mit Nein beantwortet hatte.
Einen
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