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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Triumphierender Trotz.«
Sie stand auf, ging zum Regal, nahm ein Bild herunter und
betrachtete es einen Augenblick, bevor sie es mir herüberbrachte. Während ich es genau studierte, holte sie zwei andere und
setzte sich neben mich.
»Sehen Sie«, sagte sie, und hielt mir das eine hin. Es zeigte ein
drei, vier Jahre altes Mädchen mit hellen Locken in einem
Sommerkleid mit Blümchenmuster, fotografiert auf einer Bank
irgendwo in einem Park, das seine Beinchen gerade in die Luft
streckt und den Fotografen so glücklich anstrahlt, daß man das
Lachen förmlich noch in ihrer Kehle glucksen zu hören glaubt.
»So war sie einmal. Und hier –«
Auf dem nächsten Bild war sie älter, ungefähr zehn oder elf, in
Pfadfinderuniform, ein wenig selbstbewußter dreinblickend
vielleicht, die Haare eine Ahnung dunkler, aber ebenso strahlend
mit ihrem breiten Lächeln.
»Aber dann –« Sie zeigte auf das Bild, das ich in den Händen
hielt. Es zeigte eine ernste junge Dame, mit frischgeschnittener
kurzer Zottelfrisur, ohne die Andeutung eines Lächelns um die
schmollenden Lippen und einer Düsternis in den Augen, die auf
den anderen Fotos nicht dagewesen war.
Die drei Stadien des Kindes, wie auf einem Gemälde von
Edvard Munch. Auf dem letzten war sie schon im Begriff,
erwachsen zu werden.
Ich nahm noch ein Brötchen und biß hinein. »Ich habe Sie
wohl gestern schon danach gefragt, aber … Hatte sie noch
keinen Freund?«
Sie errötete leicht, als weckten die Worte bei ihr unangenehme
Erinnerungen. »Sie hatte nie – Ich weiß nicht, nennt man das
heute … einen festen Freund?«
»Das wissen die Götter. Aber Sie und ich sprechen jedenfalls
dieselbe Sprache.«
»Ich gehe davon aus, daß sie auch ab und zu verliebt war, wie
alle – anderen, aber sie hat zu Hause nie davon erzählt.«
»Sie hat sich ihrer Mutter nicht anvertraut?«
Ein Hauch von Kälte erschien in ihren Augen. »Nein, stellen
Sie sich vor, das hat sie nicht.«
»Da gibt es also mit anderen Worten keine Namen zu nennen?«
Sie schüttelte verneinend den Kopf.
»Hab ich das richtig verstanden, zu Hause bei Åsa, daß die
beiden zusammen bei den Pfadfindern waren?«
»Ja, das stimmt, von klein auf und bis zur siebten, achten
Klasse. Dann hörten sie plötzlich alle beide auf.«
»Haben Sie eine Vermutung, warum?«
»Nein, sie sagten nur, sie hätten die Nase voll. Daß sie da
rausgewachsen seien.«
»Vielleicht könnte man mit einem der Leiter von damals
sprechen?«
»Ich kann mir nicht denken, daß das etwas mit dieser Geschichte zu tun hat!«
»Nein … wahrscheinlich nicht. Aber haben Sie vielleicht
trotzdem einen Namen?«
»Von einem der Leiter? Tja … die, mit der wir in den letzten
Jahren am meisten zu tun hatten, war eine, die hieß.. Wie hieß
sie noch gleich … Genau! Sigrun Søvik.«
Ich notierte. »Und die Adresse von Astrid Nikolaisen, haben
Sie die?«
Sie nickte, stand auf, ging wieder zum Wandregal und zog
eine Schublade der Kommode heraus. Sie blätterte in einem
Stapel und zog dann eine Fotokopie hervor, kam damit herüber
und gab sie mir. »Die hier müßte von diesem Jahr sein.«
Ich ging die Klassenliste durch, ließ den Blick schnell über die
Namen gleiten, bis ich zu Astrid Nikolaisen kam. Ich sah zu ihr
auf. »Könnte ich die erst mal behalten, falls noch mehr Namen
auftauchen?«
»Rechnen Sie damit?« fragte sie ängstlich., als befürchtete sie
plötzlich, daß ich ihr etwas verheimlichen könnte.
»Nur damit ich Sie nicht jedesmal nerven muß, wenn –«
»Sie nerven mich nicht! Ich bezahle schließlich dafür, oder?«
»Doch, so gesehen … Aber …« Ich hielt die Liste in die Luft
mit einer Wiederholung der Frage im Blick.
»Natürlich können Sie sie behalten! Ich hab ja immer noch die
vom letzten Jahr. Es hat sich nicht so viel geändert.«
Ich leerte die Kaffeetasse. »Noch etwas, das ich wissen sollte?«
Sie warf mir einen schnellen Blick zu. »Was sollte das sein?«
»Na ja, ich … Wie lange sind Sie – Sie und Ihr Mann – schon
getrennt?«
»Seit August. In den Sommerferien, da ging es nicht mehr.«
»Klassisch.«
»Nicht so wie Sie denken. Der Fehler war, daß wir überhaupt
keine Ferien zusammen hatten. Es gab viel Unruhe bei der
Zeitung, Sie erinnern sich sicher, weiße Seiten und so weiter,
also konnte er nicht fahren, bevor die Schule wieder anfing. Und
da waren wir ja schon – Und dann fuhr er schließlich eine
Woche nach London oder so, allein, und als er wiederkam –«
Sie

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