Die Schrift an der Wand
ich.
»Gehen Sie ruhig rein.« Die Mutter schob mich behutsam
weiter ins Zimmer. »Antworte ihm, so gut du kannst, Astrid. Ich
bin in der Stube beim Aufräumen, wenn was ist.«
Dann ließ sie uns allein.
Ich sah mich um. Es war ein ziemlich kleiner Raum, möbliert
mit einem ungemachten Bett und einer weißen Kombination aus
Schminktisch und Kommode. Auf dem Boden lagen zwei
Sitzsäcke. Neben dem Bett stand ein altmodischer Sprossenstuhl, und auf dem Boden vor dem Fenster lag ein
unordentlicher Stapel mit Comics und Musikzeitschriften, ein
paar Modezeitschriften und eine Handvoll Schundromane.
Diverse Kleidungsstücke lagen im Zimmer verstreut, als habe
sie nach etwas gesucht, aber ich wußte aus Erfahrung, daß
Teenager recht häufig ihre Umgebung auf diese Weise gestalteten.
Sie wandte mir das zerknitterte Gesicht zu, mit einem für ihr
Alter etwas zu zynischen Blick. »Was is’n mit Torild?«
»Willst du dich nicht setzen?«
Sie setzte sich auf die Bettkante und nickte zu einem der
beiden Ledersäcke. »Sie auch.«
»Ich glaube, ich bleibe lieber stehen«, sagte ich und lehnte
mich an den Türrahmen.
»Ihr seid befreundet, oder?«
»Nee, nich’ so richtig. Wir sind manchmal zusammen inner
Stadt unterwegs, aber mehr auch nich’.«
»In der Stadt?«
»Ja, im Jimmy und so.«
» Jimmy, das ist eine Spielhalle, stimmt’s?«
»Wenn de willst, kannste spielen, ja. Ich geh da hin auf’n
Hamburger und um mit Leuten zu quatschen. Da triffste immer
coole Typen.«
»Ja, kannst du mir ein paar nennen?«
»Nee, warum sollte ich? Was haste mit denen zu schaffen?«
»Aber Torild ging da also auch hin?«
Sie nickte.
»Und Åsa?«
»Die auch, ja. Wir sind echt viele!«
»Was …« Ich biß mir auf die Zunge. »Sag mal, so was kostet
doch Geld, oder?«
»Gibt’s ’n sons’ irgendwas gratis, außer Kaffee inner Kirche
un’ so?«
»Wo hattet ihr das Geld her?«
Sie sah mich verächtlich an. »Na von zu Hause. Taschengeld.
Manche hatten Jobs. Ich jobbe ab und an mal im Mekka.«
»An der Kasse?«
»Nee, füll die Regale auf.«
»Klaut ihr manchmal auch was?«
»Was soll’n das? Ich dachte, Sie wollten was wegen Torild
wissen.«
»Åsa mußte gestern eine Lederjacke, die sie geklaut hatte,
wieder zurückbringen.«
Ihr Gesicht wurde etwas länger. »Echt?«
»Ihr Vater ist mitgegangen.«
»Das is’ ja stark!«
»Du meinst, das war okay?«
»Na ja, ich hab jedenfalls nie was geklaut!« Aber sie sah mich
nicht an, als sie das sagte.
»Wie ist es mit Drogen, wird da unten gedealt?«
»Wo? Im Jimmy? Aufm Klo kannste kaufen, was de willst,
und wenn’s das Hotel Norge is’.«
»Nimmt Torild Drogen?«
»Torild??! Daß ich nich’ lach’! Das Edelpüppchen?«
»In der Schule haben sie gesagt …«
»Inner Schule, ja! Mit wem haste denn geredet? Mit Pickel?«
»Aber die Eltern meinten auch …«
»Sie hat’s bestimmt mal probiert, so wie alle eben. Aber sie ist
bestimmt nich’ so drauf, da kannste Gift drauf nehm’.«
»Mmh?«
»Genau!«
»Weißt du, wo sie ist?«
»Nee. Ich wußte noch nich’ mal, daß sie weg war!«
»Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
»Das letzte Mal? Du, Derrick, glaubste, ich hab ’n Gedächtnis
wie’n Elefant, oder was? Scheiße, ich hab doch keine Ahnung.
Das war wohl irgendwie letzte Woche.«
»Donnerstag, Freitag?«
»Freitag war’s auf kein’ Fall! Da war ich auf ’ner Fete.«
»Aber Donnerstag?«
»Ja … Is’ gut möglich, daß sie kurz im Jimmy war den Tag.
Mit Åsa. Und irgend ’nem Typ.«
»Einem Mann?«
Ihr Blick flackerte wieder. »Weiß nich’. Kann sein, ich bild’s
mir nur ein. Keiner, den ich kannte, jedenfalls.«
»Das kann wichtig sein, Astrid.«
Plötzlich klingelte es an der Tür: drei kurze Töne.
Sie verdrehte die Augen. »Meine Fresse! So’n Bahnhof!«
Wir hörten, daß draußen die Tür geöffnet wurde, und gleich
danach ertönte eine Männerstimme.
»Jetzt geh ich. Das is’ der Kenneth, und da gibt’s Zoff!«
»Was meinst du mit Zoff?«
»Die woll’n bumsen! Daß der ganze Block ’s hört! Verstehste?
Aufräumen! So’ne Scheiße! Sie hat ja wohl nach gestern die
Betten …«
»War der Kenneth da auch da?«
»Nein, da war’s ’n anderer, natürlich!«
Ein dünnes Räuspern ertönte von der Tür her. Die Frau, die
mich hereingelassen hatte, sah von mir zu ihrer Tochter. »Jetzt
glaube ich, dein Gast muß gehen, Astrid.«
»Und ich geh auch, daß du’s nur weißt!«
»Aber … Willst du nichts essen?«
»Ich schieb ’n Hamburger
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