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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Mädchen aus Fridal stritten,
nannten wir sie immer nur Kröten, was so heftige Reaktionen
auslöste, daß wir die Mädchen aus Fridal relativ schnell ihrer
Wege gehen lassen mußten und uns wieder den zentraleren
Stadtteilen zuwandten, wo wir selbst das Hausrecht hatten.
    Astrid Nikolaisen wohnte in dem dreizehn Stockwerke hohen
Wohnblock, der das Wahrzeichen des Ortes ist. Der Durchgang
in seiner Mitte machte das Bauwerk zu einer Art Triumphbogen
Mansverks und wurde, wenn der Wind aus der entsprechenden
Richtung blies, zu einem regelrechten Windkanal.
    Ich fand ihren Nachnamen auf einem der Briefkästen bei den
Fahrstühlen, mußte aber Etage für Etage die Außengänge
abklappern, um die richtige Wohnung zu finden. Zusätzlich zu
den zwei Fahrstühlen gab es in jedem Außenflügel des Gebäudes Treppenhäuser, und ich arbeitete mich im Zickzack zum
fünften Stock hinauf, wo ich den richtigen Namen an einer Tür
fand und klingelte.
    Die Frau, die öffnete, sah jünger aus, als ich erwartet hatte.
Trotz der übertriebenen Schminkschicht wirkte sie nicht viel
älter als Anfang Dreißig. Sie trug enge schwarze Leggings und
einen quergestreiften Wollpullover, der so lang war, daß sie ihn
auch als Minikleid hätte tragen können. Das Haar war so
schwarz und gut frisiert, daß es aussah wie eine Perücke.
»Ja?« sagte sie und zog die dunkelroten Lippen zu einer Art
Schmollmund zusammen.
     
»Veum. Ich komme von … Sie sind doch Frau Nikolaisen?«
    »Das Frau können Sie ruhig vergessen. Aber ich heiße Nikolaisen, ja.«
»Ist Astrid Nikolaisen da?«
Sie betrachtete mich abschätzend, und ich fügte hinzu: »Ist sie
vielleicht Ihre Schwester?«
Trotz der Schminkschicht sah ich, daß sie errötete. »Ja, nein,
meine Tochter. Einen Moment, ich seh mal nach, ob sie da ist.«
Sie schloß die Tür wieder, und ich blieb draußen stehen und
wartete. Von hier aus blickte ich direkt auf die Garagenanlage
von Bergens Sporveier. Die etwas zufällige Kombination von
Werkstatthallen und Wohnblöcken machte Mansverk nicht
gerade zu einem Vorzeigeprojekt für die Stadtplanung der
fünfziger Jahre.
Die Tür hinter mir ging wieder auf.
Dieselbe Frau wie eben sagte: »Und worum geht es?«
»Eigentlich geht es um eine Freundin von ihr, Torild
Skagestøl, die seit fast einer Woche verschwunden ist.«
»Was hat Astrid damit zu tun?«
»Nichts, nehme ich an. Ich wollte sie nur etwas zu Torild
fragen. Mit wem sie zusammen war und so was.«
Sie sah immer noch etwas mißtrauisch aus. »Sind Sie von der
Polizei?«
»Nein.«
»Jugendamt? Sozialamt?«
»Nein, weder noch. Ich bin hier im Auftrag der Familie.«
»Sie ist gerade aufgestanden. Aber okay. Sie können reinkommen.«
Als ich ihr in die Wohnung folgte, sah ich schnell auf die Uhr.
Es war zehn nach halb zwölf. War Astrid Nikolaisen demnach
nun ein Abend- oder ein Nachtmensch?
Der Flur war mit großen, hellroten Königslilien auf lila Grund
tapeziert. Durch eine offene Tür hörte man, auffällig laut, einen
Reklamespot von einem der lokalen Radiosender.
Sie klopfte an eine Tür. »Ich bin’s, Gerd. Können wir reinkommen?«
Ich nahm durch die Tür so etwas wie eine Zustimmung wahr.
Die Frau öffnete sie und trat zur Seite, um mich hineinzulassen.
Als ich an ihr vorbeiging, spürte ich den Duft eines schweren
Parfüms: wie von Maiglöckchen, die viel zu lange in einem
geschlossenen Raum gestanden hatten.
Das Mädchen in dem Zimmer war dabei, den Reißverschluß
ihrer engen Jeans zuzuziehen, nicht ohne Schwierigkeiten, und
das Weiß ihres üppigen Oberkörpers wurde von dem schwarzen
BH noch hervorgehoben, den sie gerade schon übergestreift
hatte. Der Blick, den sie mir zuwarf, war frech und herausfordernd, und ihr volles Gesicht sah aus wie eine etwas
aufgedunsene Version des der Mutter, nur noch stärker geschminkt, wenn nicht sogar mit etwas verschwommenen
Konturen, weil sie nur allzu deutlich noch die Maske des
Vortags trug.
»Astrid! Zieh dich an!« sagte die Mutter über meine Schulter.
Ich drehte mich zu ihr um. »Ich kann hier draußen warten.«
»Das ist nicht nötig. Zieh den Pullover an!«
»Ja ja, Meckertante!« sagte die Tochter. »Er hat bestimmt
schon mal ’nen BH gesehen.«
Ich wartete ein paar Sekunden, bevor ich mich wieder umdrehte. Jetzt hatte sie einen einfarbigen dunkelroten Pullover über
den Kopf gezogen und richtete ihre dunklen, leicht rotgetönten
Haare. »Was will er denn?«
»Über Torild Skagestøl reden«, sagte

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