Die Schrift an der Wand
Geheimnummern zulegen. Ja,
Evy auch. Das bedeutet, daß du sie für dich behalten mußt.« Sie
schrieb etwas auf einen gelben Notizblock. »Hier hast du die
Nummer und auch die von ihrer Station, für den Fall, daß sie
Dienst hat. Übrigens …« Sie begann, im Papierstapel links auf
ihrem Schreibtisch zu blättern. »Habe ich nicht … Doch, sieh
mal hier!«
Sie reichte mir ein Rundschreiben, dessen Überschrift
NEHMT EUCH DIE NACHT ZURÜCK! eine Demonstration in
der C. Sundsgate am nächsten Montag um 23.00 Uhr ankündigte.
»Wirst du da sein?« fragte ich.
»Nein, ich bin noch immer etwas auf Distanz zu dem Ganzen.
Aber hättest du gut davon?« fügte sie mit einem leicht süffisanten Lächeln hinzu.
»Bist du jetzt bei dem angelangt, was du plaudern genannt
hast? Oder wie soll ich das verstehen?«
Sie beugte sich vor und kam etwas näher zu mir, sah mir mit
einem unbestimmbaren Funkeln in die Augen und sagte leise:
»Hast du denn noch etwas Nettes auf Lager, Varg? Sehe ich da
nicht eine verhinderte Verliebtheit, ganz tief drinnen?«
Das Schlimmste war, daß sie mich fast dazu brachte, zu erröten.
»Eine – verhinderte …?«
»Ja?« Sie beugte sich noch einen Deut weiter vor und ergriff
meine Hände. Weiter kamen wir nicht. Die Tür zum Treppenhaus sprang mit einem Knall auf, und wir hörten das Klacken
schneller Schritte näherkommen. Dann gellte eine laute Stimme
durch den Raum: »Das mach ich nicht mit, verdammte Scheiße!
Nie im Leben, Scheiße noch mal!«
Trotz des sprachlichen Niveaus erkannte ich die Stimme
sofort. Es war Holger Skagestøl.
19
Laila Mongstad ließ meine Hände los, als habe sie sich verbrannt, und in einer synchronen Bewegung standen wir auf und
sahen über die Trennwand dorthin, woher die Töne kamen.
Holger Skagestøl trieb eine Gruppe von acht, neun Kollegen
vor sich her.
Ein Mann in den Dreißigern mit leicht zerzaustem, blonden
Haar, in einer kurzen Lederjacke und mit einer großen Fototasche über der Schulter kam zuerst, gefolgt von einem Typen
gleichen Alters in Lederweste und Jeans. Es war Bjørn Brevik,
einer der Journalisten des Hauses, der tat, was er konnte, um
Skagestøl von dem Fotografen fernzuhalten. Dicht hinter
Skagestøl folgte Trond Furubø und eine Handvoll anderer, ein
paar von ihnen damit beschäftigt, die Gemüter zu beruhigen, die
anderen hauptsächlich aus purer Neugier.
»Ich will diesen Film haben, verstehst du! Ich will ihn haben!«
brüllte Holger Skagestøl, so daß es in den Redaktionsräumen
widerhallte.
»Das mußt du mit der Schlußredaktion abmachen!« antwortete
der Fotograf.
»Ihr könnt mich verdammt noch mal nicht wie – wie – wie
irgendwen behandeln! Ich arbeite schließlich auch hier im
Haus!«
»Sollte uns das etwa besondere Vorteile verschaffen?« unterbrach ihn Bjørn Brevik scharf.
»Vorteile?« Skagestøl griff Brevik am Hemdkragen und zog
ihn zu sich heran. »Hier geht es um simplen Persönlichkeitsschutz! Die Kampagne für mehr Rücksichtnahme, schon mal
davon gehört, du verdammter Grünschnabel? Ich will verdammt
noch mal nicht mein Familienleben über die ganze Titelseite
ausgebreitet sehen!«
Auch Brevik wurde deutlich lauter. »Laß mich los!«
Skagestøl schien noch fester zuzufassen.
Trond Furubø packte ihn am Arm. »Holger –«
»Loslassen! Hast du gehört? Ich –«
Brevik stemmte die Ellenbogen nach oben und machte sich
von dem Griff frei, so plötzlich, daß ein Hemdknopf wie ein
Streifschuß über die Schreibpulte flog. »Keine Rede davon,
irgendein Familienleben auszubreiten! Das ist eine Nachrichtenreportage!«
»Nachricht? Sie haben den Täter schon gefaßt! Warum nehmt
ihr nicht statt dessen ein Bild von ihm?«
»Ein ganz normales Illustrationsfoto?« piepste der Fotograf
mit Fistelstimme.
»Illustrations …! Soll ich dir vielleicht deinen verdammten
Fotoapparat in die Fresse hauen, was?«
Trond Furubø mischte sich ein. »Holger! Es hat keinen Sinn.
Wir gehen zur Schlußredaktion –«
Skagestøl ließ langsam ab. Plötzlich geschah eine Veränderung in seinem Gesicht, und als er weitersprach, hatte er Tränen
in der Stimme: »Das mußt du doch verstehen, Bjørn. Es geht um
meine Tochter.«
Bjørn Brevik nickte. »Diesmal ist es deine Tochter, morgen
die eines anderen. Wie hättest du dich verhalten, in meiner
Situation?«
»Ich hätte Rücksicht genommen –«
»Hättest du?«
Skagestøl hatte jetzt auch Tränen in den Augen. »Ja?«
»Also, wenn es nicht um dich persönlich
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