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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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hatte man das
Gefühl, sich mit ständigem Meeresrauschen in den Ohren
irgendwo im Inneren eines gigantischen Schneckenhauses zu
befinden. Die Wolkendecke, die vorbeiflatterte, war in verschiedenen Grautönen gehalten, und wir hatten kaum den Kamin
angezündet, als der erste Blitz seinen weißen Strich in den
Horizont zeichnete und den Himmel dort fast zerriß.
Der darauffolgende Donner ließ Karin Hals über Kopf auf
meinen Schoß springen, und auch als das Gewitter weitergezogen war, war sie nicht leicht von dort wieder wegzubewegen.
Während auf der Kochplatte die Teekanne gluckste, breiteten
wir unsere Schlafsäcke aus und gingen in Deckung, wie zwei
wintermüde Teddybären, denen es für das erste Nacktbad noch
zu früh war.
Wir liebten uns wie zwei Siebzehnjährige, die zum allerersten
Mal auf Hüttenurlaub sind.
Später tranken wir Tee, aßen Vollkornbrot mit dicken Käsescheiben und unterhielten uns. Der Vorteil, sich in unserer
Lebensphase zu verlieben, ist, daß es so viele Steine zu lüften
gibt, so viele Zweige zur Seite zu schieben, einen so weiten
Lebensweg zurückzuverfolgen.
Spät in der Nacht, als sie mit regelmäßigen, leicht gurrenden
Lauten neben mir schlief, lag ich auf dem Rücken und dachte
nach. War das das Glück? Sollte so das Leben eigentlich sein –
immer schon? Und wenn ja, wie lange würde es dauern? Wer
zum Teufel hatte mir meine Todesanzeige geschickt?
21
    Montag morgen meldete ich mich auf dem Polizeirevier. Ich
kam aus freien Stücken, und niemand warf mich hinaus, ehe sie
erfahren hatten, was ich wollte.
    Am Sonntag waren die Artikel noch sensationeller, nicht
zuletzt weil sie sich auf Details berufen konnten, die am
Samstag noch nicht bekannt gewesen waren. NEUER
SATANISTENMORD? fragte eine. DEM SATAN
GEOPFERT? eine andere. Keine von beiden hatte ein Bild von
Sidsel und Holger Skagestøl auf der Titelseite, aber beide hatten
ein Porträt von Torild aus einem Klassenfoto herausgeschnitten
und es sehr publikumswirksam neben den Artikel gesetzt.
    Es war das Zeichen, das in ihre Haut geritzt worden war, und
die Nähe des Fundorts zum Lysekloster, die die Grundlage für
derartige Spekulationen bildeten. Die Zeitungen hatten alte
Gerüchte von schwarzen Messen und blasphemischen Orgien in
den ehrwürdigen Klosterruinen ausgegraben. Diese waren zu
einer ziemlich spekulativen Suppe zusammengebraut worden,
und nur wenige der Zutaten hatten die Qualität meiner Informationen.
    Die Montagsausgaben zielten in eine andere Richtung: FALL
GEKLÄRT? hieß es in einer Überschrift. »ZEUGE« IM
VERHÖR meldete Holger Skagestøls eigene Zeitung, mit
deutlichen Anführungszeichen. VOM GELIEBTEN
ERMORDET? fragte Paul Finckel in der seinen. (Ob er wohl
versucht hatte, mich im Laufe des Wochenendes zu erreichen?)
    Überraschenderweise präsentierte keine der Zeitungen Namen,
Alter oder Foto des vielbesungenen »Zeugen«, es hieß nur, daß
es sich um einen jungen Mann aus dem näheren Umfeld der
Toten handelte.
    Muus war nicht in seinem Büro, aber als ich bei Atle Helleve
hereinsah, saß er mit einer Auswahl besagter Zeitungen vor sich
an seinem Schreibtisch.
    Ich klopfte an den Türrahmen. Er sah auf, erkannte mich
wieder und deutete ratlos auf die Presseberichte. »Sehen Sie sich
das an! Wildere Improvisationen gibt es nicht einmal beim
Jazzfestival in Voss!«
    »Kann ich reinkommen?«
»Hauen Sie sich hin, bevor es jemand anderes tut.«
»Wieviel ist dran an den Artikeln?«
»Nicht viel, das kann ich Ihnen versichern.« Er kratzte sich
    den Bart. »Warum fragen Sie?«
»Möglicherweise hab ich ein paar – Zusatzinformationen. Bin
da auf was gestoßen.«
»Ach ja?« Er betrachtete mich mit unverhohlener Skepsis.
»Aber ich kriege diesen sogenannten Jogger nicht unter.«
»Nein?«
Einen Augenblick sahen wir einander stumm an, aber er nahm
den Köder nicht an. »Sie zuerst.«
»Also – Als Richter Brandt am letzten Freitag tot aufgefunden
wurde, hat man da eine Obduktion vorgenommen?«
    Er setzte sich gerade hin. »Der Fall ist abgeschlossen und
verriegelt, Veum! Wenn ein Wort bei der Pr …«
»Die Presse weiß schon das meiste, was es in dem Fall zu
wissen gibt, Helleve. Wenn sie den Richter bis jetzt nicht in
schwarzer Seidenunterwäsche beschrieben haben, dann werden
sie es wohl auch weiterhin kaum tun.«
»Aber woher zum –«
»Auch hier im Haus sind nicht alle Schotten wasserdicht. Es
gehen schon so lange Gerüchte um, daß der Fall in

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