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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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übergeben,
also lief ich zur Toilette, aber es kam nichts hoch, der Magen
zog sich nur zusammen, der ganze Bauch, und das tat so weh,
ich glaube, deshalb bin ich dann auch krank geworden.«
»Durchaus möglich.«
»Ich selbst trage nie solche … Ich meine, schwarz, ich finde,
das wirkt so ordinär.«
Ich unterließ es, das zu kommentieren. »Gab es etwas im
Zimmer, das darauf hindeutete, was dort vorgegangen war?«
»Es sah aus, als hätten sie gefeiert. Sie hatten sich mit Bier aus
der Minibar bedient, und es lagen Kissen auf dem Boden, der
eine Stuhl war umgekippt, und im Bad …«
»Ja?«
»Direkt hinter der Kloschüssel – ich sah es, als ich mich
übergeben wollte – lag ein Glas auf dem Boden, ein leeres
Pillenglas.«
»Was haben Sie damit gemacht?«
Sie sah mich mit großen Augen an. »Damit gemacht? Ich habe
es der Polizei erzählt, natürlich!«
»Stand etwas auf dem Etikett?«
»Meinen Sie, ich hätte da draufgeguckt? Ich hatte mehr als
genug damit zu tun, nicht umzukippen. Ich hätte selbst – ja …«
Ich leerte meine Kaffeetasse. »Ist Ihnen in dem Zimmer noch
irgendwas besonders aufgefallen?«
»Nichts weiter, außer, daß er … Er hatte versucht, etwas an die
Wand zu schreiben –«
»Was? Er hatte versucht, etwas zu schreiben?«
»Zuerst dachte ich, es wär Blut. Daß er es verschmiert hätte,
aber dann … Es war ja sonst kein Blut da, und ich – ich begriff,
daß es Lippenstift war.« Sie betrachtete mich mit einem Ausdruck äußersten Unbehagens. »Er hatte sich ja geschminkt,
schlimmer als die schlimmste …« Sie strich sich um die Lippen,
wie um es mir zu zeigen.
»Er hatte also versucht, etwas zu schreiben? Mit Lippenstift?«
»Ja.«
»Und was?«
»Erst sah es nur aus wie irgendwelche Striche, aber dann … Es
war ein Buchstabe.«
»Ein Buchstabe? Und welcher?«
»Ein großes – T.«
18
    In meinem Beruf sind Informanten fast noch wichtiger als in der
Zeitungsbranche, und sie sind durch eine ebenso unbedingte
Schweigepflicht geschützt. Vielleicht hatte ich deshalb so viele
nützliche Kontakte bei der Tagespresse.
    Die Redaktionsetage war ein hellerleuchtetes Labyrinth, nicht
in erster Linie, um es schwerer zu machen sich darin zurechtzufinden, sondern um auf dem momentan verfügbaren Raum für
so viele Menschen wie möglich Platz zu schaffen.
    Ich fand Laila Mongstad in einer kleinen Abseite ganz hinten,
mit der Hälfte eines Fensters zur Rückseite des Parteihauses der
Sosialistisk Venstreparti in der Fosswinkelsgate und der
katholischen Schule daneben. Vor bald vier Jahren war sie zu
einem überraschend späten Zeitpunkt in ihrer Karriere von der
kleinen rotznasigen Konkurrenz in der Christian Michelsensgate
zu dieser Zeitung beordert worden, und es war ihr längst
gelungen, ihren Ruf als erstklassige und sozial engagierte
Lokalreporterin zu festigen, so daß die Zeitung aufgrund ihrer
Enthüllungen schon zweimal wegen einer Verleumdungsklage
vor Gericht gestanden hatte.
    Vielleicht war all der Dreck, den sie ans Licht schaufelte,
dafür verantwortlich, daß ihr früher so freigebiges Lächeln
etwas angestrengt wirkte.
    Vielleicht forderte aber auch schlicht und einfach das Alter
seinen Tribut. Sie hatte mit großer Power über dreißig, vierzig
Jahre als Journalistin gearbeitet und obwohl aus ihren blaugrauen Augen noch immer Energie und Arbeitsfreude leuchteten,
konnte ich mir doch schnell ausrechnen, daß sie auf jeden Fall
die Sechzig überschritten hatte, seit wir das letzte Mal miteinander in Berührung gekommen waren. Weiter als zu einer
Berührung waren wir allerdings auch nie gekommen.
Gegen das Lächeln, das sie mir zuwarf, war nichts einzuwenden. Ihre eierschalenfarbene Seidenbluse betonte ihre großen
Brüste, aber mir fiel auf, daß sie die rote Strickjacke unten
zugeknöpft hatte, wahrscheinlich um die Taillenweite über der
engen dunkelblauen Hose wegzuretuschieren.
    »Wie geht’s?« fragte ich vorsichtig als Einleitung.
»Bist du gekommen, um zu plaudern, oder bist du bei der
Arbeit?« fragte sie zurück, während sie den Stuhl vom Computer, an dem sie gerade arbeitete, wegdrehte.
»Beides.«
»Dann schlage ich vor, du setzt dich.«
»Danke. Was zuerst, Vergnügen oder Arbeit?«
Sie lächelte schief. »Was dauert länger?«
»Du weißt von diesem Mädchen, das sie gefunden haben, oben
auf dem Fanafjell –«
»Holgers Tochter. Schrecklich! Aber …«
»Sie war seit einer Woche verschwunden, und ich … Ich
bekam vor zwei

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