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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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wechselte sie die Kniestellung, das andere kam nach oben, mit dem Resultat, daß noch ein
Stück ihres Schenkels zum Vorschein kam. Trotzdem hatte die
Bewegung nichts Verführerisches, sie war eher ein Ausdruck
vollkommener Gleichgültigkeit. »Astrid und ich – wir gehen
eigentlich nicht wie Mutter und Tochter miteinander um,
sondern eher wie zwei Freundinnen. Deshalb nennt sie mich
auch Gerd. Sie dürfen nicht vergessen … ich war ja so jung, als
ich sie bekam.«
»Wie jung?«
»Sechzehn.«
»… einhalb?«
Sie sah mich verständnislos an.
»Aber wie war das mit dem Angewöhnen?«
»Wie? Na ja … weil wir ja fast gleichaltrig sind –« Sie hielt
einen Augenblick inne, als erwartete sie, daß ich protestierte,
aber ich sagte nichts. »Es konnte schon mal vorkommen, daß
einer von ihren Verehrern ziemlich interessant war, auch für
mich eben – und umgekehrt.«
»Mmh?«
Schnell setzte sie hinzu: »Ja, nicht so, daß wir … Sie müssen
nicht glauben, daß wir – getauscht hätten. Aber es konnte eben –
Situationen geben, wo man – eifersüchtig wurde, verstehen
Sie?«
Ich hob meine Hand zu meinem Auge und nickte zu ihrem.
»Diese Flecken, die Sie da … und hier …« Ich führte die Hand
hinunter zur Unterlippe. »Sind die das Ergebnis einer solchen
Situation?«
Sie preßte die Lippen zusammen, und es knisterte in ihren
Augen. Die Hand, in der sie die Zigarette hielt, zitterte jetzt
noch deutlicher, und bevor sie etwas sagte, atmete sie einmal
tief durch die Nase aus.
Die Worte kamen über ihre Lippen hergekrochen wie Sumpfgetier unter einem umgewälzten Stein. »Ich kam nach Hause …
gestern … Ich war nur unten gewesen, um einen Film auszuleihen und Zigaretten zu kaufen. Und sie glaubten wohl, sie
könnten es schaffen, so auf die Schnelle …«
Ich wartete.
»Ich klingelte nicht. Das Quietschen ihres Bettes konnte ich ja
bis zur …« Sie nickte zur Wohnungstür. »Sie war splitternackt,
aber er hatte nur die Hose runtergezogen. Aber sie fickten wie
die Kaninchen … Wie die Kaninchen!«
Das einzige Geräusch, das zu hören war, als sie Atem holte,
war das gedämpfte, aber dennoch nachdrückliche Werbegebrabbel aus dem Radio.
In ihren Augen standen Tränen. »Sie hätten wohl Schamgefühl
genug haben sollen, es sein zu lassen – hier in meiner eigenen
Wohnung – wo ich jederzeit reinkommen konnte – Aber so ist
er, nach ihm die Sintflut! Und sie …«
»Was geschah dann?« fragte ich leise.
»Es gab einen höllischen Krach, natürlich. Ich halt mich nicht
gerade zurück, wenn ich erst mal in Fahrt bin!«
»Nein, das …«
»Sie sprang wie der Blitz in ihre Klamotten, und seitdem hab
ich sie nicht mehr gesehen. Aber er …« Ein Ausdruck des
Schmerzes trat in ihre Augen. »Er schlug einfach drauflos, als
ob ich was falsch gemacht hätte. Hier – und hier – und guck mal
hier –«
Mit einer harten Bewegung zog sie den Morgenmantel über
ihre Schultern und entblößte den Oberkörper. Um die Brüste
und auf dem Bauch hatte sie große blaue Flecken.
Sie sah an sich hinunter. Die kleinen Brüste sahen ziemlich
kümmerlich aus. »Kann ich was dafür, daß ich keine hab, daß
ich nicht so große hab wie sie? Wenn er auf Küken Appetit
hatte, dann hätte er doch wohl woanders hingehen können,
oder?«
»Von wem sprechen wir eigentlich?«
»Von wem? Na, von Kenneth!«
»Und wie heißt der Kenneth weiter?«
»Kenneth Persen! Kennen Sie ihn?«
»Nein, aber … Ich bin ihm begegnet, als ich das letzte Mal
hier war und gerade gehen wollte.«
»Ja …« Sie hob resigniert die Hände und zog den Morgenmantel wieder um sich zusammen.
»Glauben Sie, Astrid könnte bei ihm sein?«
Sie sah mich bitter an. »Wenn ja, na dann gute Nacht, würd
ich sagen.«
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Warum? Haben Sie vor, ihn zu besuchen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »In erster Linie wollte ich ja mit
Astrid sprechen.«
»Er wohnt in einem Loch von einer Wohnung in Nedre
Nygård. In der Jonas Reins Gate.«
»Sagen Sie … Astrid, Torild … wären Sie überrascht, wenn
ich sagen würde, daß sie möglicherweise mit – Prostitution zu
tun hatten?«
Der letzte Rest von Leben in ihren Augen erstarb. »Nein. Mich
kann nichts mehr überraschen. Nichts.«
»Na ja, dann –« Ich stand auf.
Sie begleitete mich in den Flur. Ihr Blick reichte mir nicht
weiter als auf Brusthöhe, als sie sagte: »Es hat gutgetan, mit
jemandem zu reden.«
Ich zog meine Brieftasche hervor und gab ihr eine

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