Die Schrift an der Wand
Pfadfindergruppenleiterin Sigrun Søvig, hatte ich mir
aufgeschrieben.
Als ich im Büro der Norwegischen Pfadfindervereinigung
anrief, bekam ich die Telefonnummer ihrer Arbeitsstelle
genannt, einem Bauunternehmen mit Büros im Stadtteil Søndre.
Wenn ich also sowieso nach Landås wollte, war das kein weiter
Umweg.
Mindemyren ist der kälteste Ort in Bergen. Im Winter scheint
sich der Eisnebel dort unten nie zu heben. Wenn man sein Auto
zu lange stehen läßt, bekommt man schnell Probleme, es wieder
in Gang zu kriegen.
Die Baufirma hatte ihre Büros im ersten und zweiten Stock
über einem Lagerraum hinter großen, grauen Stahlgardinen. Ich
fand Sigrun Søvik in großkariertem, rotem Flanellhemd und
grauem Pullover in intensive Studien vertieft vor einem PC, wo
sie eine Konstruktion, die mit diversen technischen Daten
versehen war, mit Hilfe behutsamer Anschläge auf der Tastatur
vor ihr langsam herumdrehte. Die Wände um sie herum waren
voller Graphiken. Auf einigen meinte ich das Muster des Bildes
auf dem Monitor wiederzuerkennen.
Sie sah zerstreut zu mir auf, als ich in der Tür zu ihrem kleinen
Büro auftauchte. »Ja? Bitte?«
Sie war von kräftiger Statur, mit dunkelblondem Haar, im
Nacken kürzer als in der Stirn, durchdringendem Blick und
einem auffällig breiten Nasenbein, das so aussah, als habe sie es
einmal gebrochen. Der ungeschminkte Mund wirkte etwas zu
klein für das große Gesicht. Und wenn sie ihn wie eine Hofdame
zusammenzog, schien er eigentlich gar nicht dorthin zu gehören,
als habe sie ihn nach einem tragischen Unfall transplantiert
bekommen.
»Mein Name ist Veum.«
»Ja? Sind wir verabredet?«
»Nein, ich komme wegen eines Todesfalles.«
Sie drehte den Stuhl ganz herum und stand auf. »Ein Todesfall? Was soll das heißen?«
»Ich weiß nicht, ob Sie in der Zeitung … Torild Skagestøl.«
»Aah, Torild …« Aus irgendeinem Grund sah sie fast
erleichtert aus. »Ich hatte schon befürchtet … Aber warum
kommen Sie zu mir?«
»Weil ich dachte, daß Sie vielleicht etwas über Torild wüßten,
das … ich meine, sie von einer anderen Seite kannten, als die
Eltern.«
Ihr Mund wurde noch kleiner. »Von einer anderen Seite? Wer
sind Sie eigentlich?«
»Ich bin Privatdetektiv und habe in der Woche, als Torild
verschwunden war, nach ihr gesucht.«
»Privatdetektiv? Aber ich verstehe immer noch nicht – Warum
kommen Sie zu mir?«
»Sie waren doch ihre Gruppenleiterin bei den Pfadfindern,
oder?«
»Doch, ich war Leiterin der Gruppe, bei der sie war, aber das
ist … sie ist seit Anfang letzten Jahres nicht mehr dabei gewesen.«
»Da hat sie aufgehört?«
»Ja, es … Kurz vor dem Sommer, soweit ich mich erinnern
kann.«
»Und Åsa Furubø hörte gleichzeitig auf, stimmt das?«
Sie kratzte sich an der Stirn, wie um der Erinnerung nachzuhelfen. »Doch, das kann schon sein … Sie waren ja Busenfreundinnen.«
»Sie sagen das so, als sei daran etwas Suspektes?«
Sie lächelte, aber nicht von Herzen. »Suspekt? Ich meinte nur
– Busenfreundinnen haben eine Tendenz sich zusammenzurotten. Immer in die Fußspuren der anderen zu treten, sozusagen.
Wenn die eine aufhört, dann tut es die andere oft auch.«
»Es gab also keinen besonderen Grund dafür, daß sie aufhörten, gerade zu dem Zeitpunkt?«
»Einen besonderen Grund? Haben sie selbst so was gesagt?«
Ich hielt die Antwort zurück und nahm wahr, wie die Pause sie
unruhig machte, als fürchtete sie sich vor dem, was ich sagen
würde.
»Nein. Das haben sie nicht –«
Dieses Mal fiel sie mir schnell ins Wort. »Nein, denn es ist
unsere Erfahrung, daß es genau in dem … entweder hören sie da
auf oder sie machen weiter, und dann bleiben sie oft dabei bis
auf die Leiterebene. Aber viele bekommen, wie Sie sich sicher
denken können, in dem Alter andere Interessen.«
»Klar. Ich war übrigens selbst einmal Pfadfinder und habe
auch ungefähr in dem Alter aufgehört.«
»Ja, genau das wollte ich …«
»Aber darum ging es mir ja eigentlich nicht. Wie lange waren
die Mädchen in Ihrer Gruppe?«
»Torild und Åsa?« Ich nickte. »Oh, so sieben bis acht Jahre.
Schon von der Vorschule an.«
»Na dann sollten Sie sie ja recht gut kennen, oder?«
»Doch, ja, soweit … Wissen Sie, im Laufe eines solchen
Zeitraumes verändern sie sich doch ziemlich.«
»Klar. Aber was hatten Sie für einen Eindruck von ihnen?«
»Na ja, das … Sie waren ganz normale, süße kleine Mädchen,
aus geordneten Verhältnissen.«
»Mmh. Heißt
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