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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Freilich verharrten sie nicht bloß bei einem Thema, sondern berührten nach und nach unzählige Probleme, und die Worte flogen dahin, getrieben von jener stets ahnenden, suchenden Leidenschaft, die zu den Merkmalen der jungen Denkweise gehört. In Bálint hallte vielerlei nach, was er noch vom Großvater vernommen hatte, viele lächelnd gefällte weise Urteile über Menschen und Dinge, die Bewertung der Welt vor einem breiten Horizont, die er erst jetzt allmählich zu verstehen begann, und vieles, was der alte Herr in Zusammenhang mit den Naturwissenschaften für den damals zwölf- bis dreizehnjährigen Jungen so dicht zusammenzufassen verstand. Es schmeichelte seiner Eitelkeit, dass jetzt beim Erklären er an der Reihe war, dass er alles weitergab, es machte aber auch Freude und war angenehm, dass er zu diesem immer aufmerksamen und immer interessant antwortenden Mädchen schöner und farbiger zu reden wusste als zu irgendjemandem sonst; als würden ihre Anwesenheit und die auf ihn gerichteten Bernsteinaugen seine Vortragsfähigkeit erhöhen.
    Viele Nachmittage verbrachten sie auf diese Weise, viele rasch dahinfliegende Stunden.
    Die Tage waren zwar dabei, länger zu werden, doch gewöhnlich begann es schon zu dämmern, wenn diese Dialoge ein Ende nahmen. Manchmal erschien ein verspäteter Gast, doch zumeist brach ihr Gespräch auf andere Art ab. Aus der immer offenen Flügeltür, welche die zwei Salons verband, ertönte die pedantische, strenge Stimme der Mama Milóth: »Warum sitzt ihr dort im Dunkeln, Addy? Du weißt, dass ich das nicht mag. Mach sofort das Licht an!«
    Adrienne erhob sich wortlos. Einen Augenblick hielt sie inne, als müsste sie sich überwinden – gehorchen, nichts erwidern –, sie stand trotzig da und blickte mit erhobenem Haupt in den Dämmerschein, starrte vor sich hin, dann ging sie mit ihren langen Schritten zu der Konsole und zündete die Lampe an. Und bevor sie zurückkehrte, blieb sie eine kurze Weile auch dort stehen und blickte mit zunehmend verengten Pupillen ins Licht …
    All dies erschien vor Bálint nicht der Reihe nach und ebenso wenig in der Form von Worten oder Sätzen, sondern als ein Bild, das als lebendiges Ganzes alle Einzelheiten enthielt, aber nicht durch die Verbindung von Gedanken geschaffen worden war, sondern mitsamt allen seinen Teilen unvermittelt fertig vor ihm stand.

    Doch diese innere Schau dauerte nur eine kurze Minute. Abermals holte ihn ein Wagen ein. Bekannte. Er musste grüßen, und die Vision von zuvor war verschwunden, so wie die vollkommene Spiegelung an der Oberfläche von Seen gelöscht wird, wenn der kleinste Windhauch jäh am Wasser vorbeistreicht. Hernach überholte ihn nun ein Gespann nach dem anderen, sie folgten einander immer dichter. Hinter jedem stieg weißer Staub auf und schwebte langsam hinüber zu den Wiesen entlang der Landstraße.
    Diese Wagen brachten nun schon die Gesellschaft, die im Anschluss an das Pferderennen nach Vársiklód aufgebrochen war. Zwei dicke Aschenschimmel trabten an ihm vorbei, hinter ihnen eine offene Kutsche. Der Obergespan saß darin. »Servus!«, rief er freundlich zu Bálint herüber und verschwand in der weißlichen Wolke.
    Neue Wagen strebten rechts an ihm vorbei. Es ging so schnell, dass er nur einige Gesichter zu erkennen vermochte in dem Moment, der von ihrem Auftauchen bis zum Augenblick verstrich, da sie vom selber ausgelösten Wirbel wieder verschluckt wurden. In einem Einspänner-Gig saß Zoltán Alvinczy allein. Zwei herrschaftliche Kaleschen folgten, in denen er nur zwei Damen erkannte: die verwitwete Frau Gyalakuthy und Dodó, ihre Tochter. Jetzt zeigte sich unter gewaltigem Knattern ein amerikanischer Vierrad-Reisewagen und sauste fort wie der Wirbelwind. Tihamér Abonyi lenkte seine zwei schwarzen russischen Traber. Er kutschierte äußerst elegant, mit herausstehenden Ellbogen und an die Brust gepressten Händen. Neben ihm seine Frau, die – ach, so liebe! – schöne Dinóra, die sich zurückwandte und mit dem breiten, sinnlichen Mund und den weißen Zähnen Bálint zulachte.
    Und kaum verzog sich der Staub ein wenig, da tauchte rechts schon das nächste Gespann auf: vier starkknochige, kräftige Falben. Sie eilten nicht, sondern trabten gleichmäßig. Man sah ihnen an, dass sie große Reisen gewohnt waren. Als Pferde von der Siebenbürger Heide wussten sie, was es bedeutet, auf langen Stationsstrecken zu dienen. Sie waren das pure Gegenteil von Abonyis Russenpferden. Diese rennen in wilder

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