Die Schrift in Flammen
Hast womöglich zehn Kilometer in weniger als zwanzig Minuten, dann aber bringt man sie selbst mit dem Knüppel kein Stückchen mehr vorwärts. Die Falben dagegen legen am Tag auch hundert zurück. Der ihnen eigene, stets ruhige Trab verändert sich dabei allerdings nie, obwohl sie immer gern laufen.
Abády mochte diese altmodische, echt siebenbürgische Pferdeart. Mit den Augen des Pferdekenners blickte er dem Gespann nach. Erst als die Kalesche zum Beipferd des Fiakers aufschloss, erblickte er die Reisenden.
Auf dem Vordersitz saß ein unbekannter Herr, neben ihm die kleinere Milóth-Tochter, Margit. Hinten zwei Frauen. Das Gesicht der links Sitzenden sah er nicht mehr, doch sie war gewiss Judith, die größere, denn Adrienne, die nun schon verheiratete Schwester, saß rechts, ihr Profil der Nachbarin zugewandt. Es dauerte einen Augenblick, bis er sie erkannte, denn ihre immer flatternden Haare, die so sehr nur zu ihr gehörten, waren jetzt von einer grauen Staubhaube turbanartig an ihre Stirn gepresst. Die dicken Falten des Stoffes bedeckten auch den Hals und die Schultern. Sie trug einen Schleier, der, unter ihrem Kinn festgemacht, ihr blasses Gesicht noch schmaler machte. Ach, dennoch, gewiss ist sie es, dies ist ihre kaum gebogene, feine Nase, dies sind ihre leicht geschürzten Lippen! Auch sie wird also am Ball bei den Laczóks mit dabei sein. Es versteht sich, dass es Adrienne ist, die jetzt, verheiratet, ihre jüngeren Schwestern als Garde-Dame begleitet und nicht die säuerliche Mutter, die seinerzeit schon die Ausflüge Addys ins gesellschaftliche Leben so lästig fand.
Bálint begann zu berechnen, wie alt die Schwestern Adriennes, die er zuletzt noch als Kinder gesehen hatte, nun sein mochten. Judith konnte kaum mehr sein als siebzehn, und Margit war wohl sechzehn. Und man führt sie schon zum Ball? Doch da fiel ihm ihre nahe Verwandtschaft mit den Leuten von Siklód ein. Die Mütter waren Schwestern aus der Familie der Kendys von Bózsva, natürlich, bei solchen Familienfesten dürfen selbst Backfische mittun.
Heute Abend wird er also Adrienne Milóth wiederbegegnen. Diese Aussicht bewirkte bei ihm nichts, weder Freude noch den vorhin bei der Erinnerung verspürten grundlosen Ärger. Er nahm die Sache gleichgültig auf. Und bald fand sich anderes, was ihn fesselte und zerstreute.
Wagen anderer Art holten ihn ein. Die herrschaftlichen Zweier- und Vierergespanne waren zumeist schon vorbei. Nun folgten viele Fuhrwerke mit kurzer Wagenleiste, von einem einzigen Pferd gezogen, darauf drängten sich die aus den Nachbardörfern stammenden Bauern, manchmal zusammen mit ihren Frauen, und da sie einige Gläser gehoben hatten, grölten und sangen sie nun gutgelaunt, mochte das Sitzbrett unter ihren Hüften noch so rütteln. Sie fuhren kreuz und quer in gewaltiger Unordnung, der eine schlängelte sich rechts, der andere links, der Dritte in der Mitte durch, damit man an ihm ja nicht vorbeikam. Die vielen Székler aus der Region den Nyárád entlang, sie wetteiferten miteinander, denn die Leidenschaft der Herren lebte auch in ihnen. Sie schlugen eifrig auf ihre Pferdchen ein, auf die grauen und die braunen, und rissen mit dem Zügel am Maul der Tiere, um die Armseligen noch schneller in Trab zu bringen – »Warum bist du nicht Bischof geworden, dein Kopf ist groß genug!«
Auch einige Städter – der eine oder andere Notar, ein reformierter oder ein griechisch-katholischer Pfarrer – fuhren in der Menge, sie saßen in leichten, niedrigen Reisewagen, die ein kleiner Knecht lenkte. Ihnen wichen die Bauern allerdings nicht aus, mochten sie noch so laut schreien, sie stachelten einander bloß in bester Laune zum weiteren Wettrennen an. Der Staub wurde nun unerträglich, als schwämme alles in weißem Nebel. Man sah keine fünf Schritte weit. Da tauchte plötzlich ein Reiter auf. Es war der verrückte Baron Gazsi, wie Gáspár Kadacsay von allen genannt wurde. Er trug noch Doppelnaht-Stiefel und weiße Jockeyhosen, am Oberkörper die hellblaue offene Offiziersattila des Husarenregiments Nummer zwei und auf dem Kopf die keck schräg aufgesetzte, rote Gemeinen-Mütze. Er war an diesem Tag bei vier Hindernisrennen geritten, und da ihm das nicht reichte, galoppierte er jetzt mit einem dicken, scheckigen Pony hinaus nach Siklód. Wortlos raste er zwischen den vielen kleinen Einspännern dahin. Manchmal, wenn ihm in der dichten Staubwolke unerwartet ein Fuhrwerkschragen entgegenragte, riss er sein Pferd zurück. Einmal
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