Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
zusammensaß, sooft sie auch – beinahe täglich – einander trafen.
    In ihren Kreisen war es ohne Bedeutung, wenn ein junger Mann im Haus, wo es ein heiratsfähiges Mädchen gab, so häufig verkehrte. Man führte damals in Klausenburg ein reges gesellschaftliches Leben, und in dieser Stadt mit Provinzausmaßen traf ohnehin fortwährend jeder mit jedem zusammen.
    Die besser gestellten, vermögenden Siebenbürger Familien verbrachten den Winter alle noch dort, und an den Nachmittagen empfingen sie Besucher ohne jede Formalität. Die Enkel, die Verwandten und die Scharen von ergebenen Anhängern machten ihre Visiten bei den alten Damen, während in den Häusern mit Mädeln jene jungen Herren erschienen, die gerade dabei waren, ihre mondänen Streifzüge zu machen. Eine Einladung brauchte man nur zum Mittag- und Nachtessen. Bei den Nachmittagsjausen wäre es eher aufgefallen, wenn sich jemand während mehrerer Tage nicht gezeigt hätte. Folglich bedeutete es keineswegs, dass ein junger Mann mit Absichten unterwegs war, wenn er sich jeden Tag zum »Kaffee mit Schlagobers« einstellte, denn damals war eher noch dieses Getränk in Mode, nicht der englische Tee.
    Gewöhnlich bildeten drei bis vier Mädchen und fünf bis sechs junge Männer einen intimeren Kreis, je nach ihrer Verwandtschaft und den Sympathien, und jene, die dazugehörten, waren beim Tennisspiel, dem Nachmittagskaffee, im Theater und auf Ausflügen immer beisammen. Sympathie und freundschaftliches Interesse schufen das Bindeglied in solchen Gruppen. Ja, Sympathie! So viel bloß bestand auch zwischen Bálint und Adrienne. Kein Zweifel, auch Adriennes Schönheit spielte eine Rolle, doch Bálint kam es so vor, als gefiele sie ihm einzig in aller Sachlichkeit wie ein feines Schmuckstück oder eine wunderbare Figur aus Bronze.
    Ihm gefiel ihr schlanker, noch stark mädchenhafter Wuchs, der leichte und doch von Kraft zeugende Gang, bei dessen Anblick er immer an das Bild der jagenden Diana denken musste, einen der Schätze des Fontainebleau-Saals im Louvre: die gleichen, ein wenig verlängerten Proportionen, der im Vergleich etwas kleine Kopf, die geschmeidigen, leicht gebogenen Hüften, die Art, wie die Göttin mit der Hand über der Schulter dem Köcher, der an ihrem Rücken hängt, einen Pfeil entnimmt; der gleiche, weit ausgreifende Schritt. Und auch die Farbe stimmte: dieselbe Elfenbeinhaut, die leicht vergoldet schien. Ihr Gesicht, ihr Hals und Arm, auch die Schultern über dem Ausschnitt des Ballkleids leuchteten ähnlich still. Nur die Haare und die Augen unterschieden sich, denn die Diana war blond und blauäugig, während Adrienne gelbe Bernsteinaugen hatte und braunes, gewelltes Haar, das stets flatterte, wie vom Sturm zerzaust.
    Ja, es war angenehm, sie zu sehen, interessant, sich mit ihr zu unterhalten. Über alles hatte sie ihre anregenden, für eine so junge Frau ungewöhnlich eigenen Ideen. Und sie war sehr gebildet. Im Gespräch mit ihr brauchte er die fremden, mit dem Ausland verbundenen Themen oder die weltgeschichtlichen und literarischen Hinweise nicht zu vermeiden, deren Erwähnung manche krummgenommen hätten im Glauben, er wolle mit seinen Kenntnissen prahlen. Adrienne war in all dem überraschend zu Hause. Sie sprach vorzüglich Fremdsprachen, las sehr gern, verabscheute aber revoltierend jene Comtessen-Literatur, die man den damaligen Mädchen ausschließlich vorschrieb. Sie revoltierte, denn im Institut in Lausanne, wo sie erzogen worden war, hatte sie von Flaubert und Balzac, Ibsen und Tolstoi vernommen, und eine verzehrende Sehnsucht trieb sie an, Werke von ernsthaftem Wert kennenzulernen.
    Solche Dinge waren flüchtig zur Sprache gekommen, als er an einem Ball beinahe zufällig mit ihr soupierte. Adrienne nahm damals zum ersten Mal an einem Ball teil. Hernach stattete er den Milóths immer öfter einen Nachmittagsbesuch ab.
    Bálint hatte zu jener Zeit die Werke Spencers kennengelernt. Sie übten auf ihn eine starke Wirkung aus. Insbesondere galt dies für den ersten Band von »Principles of Science«, in dem die Urbegriffe zur Diskussion gestellt werden: die Entstehung der Gottesauffassung und des Glaubens an eine Seele beim Menschen der Vorzeit.
    Von dieser Lektüre ganz erfüllt, erzählte er darüber unwillkürlich dem Mädchen, und das Echo auf seine Worte, der geistige Durst, mit dem sie die Ausführungen beantwortete, überraschten ihn. Blieben sie zu zweit allein, dann folgte ihre Unterhaltung anfänglich dieser Bahn.

Weitere Kostenlose Bücher