Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Stimme wurde immer tiefer.
    »Sie waren so wunderbar! Er zählte sechsundzwanzig Jahre, die Frau sogar weniger. Mein Gott, so jung, so jung waren sie! Und da ging alles … alles zu Ende. Das Konzert. In der Redoute. Das hatte vielleicht das Unheil gebracht. Beethoven und Chopin. Die galten damals als neu. Ich sehe die beiden heute noch, ja. Ein wunderbares Paar. Und so empfanden das alle, alle. Auch wegen ihres Spiels. Man empfand, dass die beiden … wie sehr die beiden eins waren, zueinander gehörten. Vielleicht kam das Unheil eben davon, dass es alle sahen.« Die buschig umwachsenen Augen des alten Gál verengten sich. »Drei Tage später, da war alles aus. Ich habe ihm den Brief gebracht, den Abschiedsbrief – ich wusste es nicht einmal. Ich musste ihn meinem besten Freund übergeben … ich, ausgerechnet ich.«
    Der alte Wanderschauspieler verstummte.
    László Gyerőffy hatte nur aus Höflichkeit zugehört, doch Bálint schnitt die geheimnisvolle Erzählung in die Seele, und jetzt, während der stockenden Reden Minya Gáls, fiel ihm eine alte, aus der Kinderzeit stammende Einzelheit ein. Er hatte sich einmal am Schreibtisch des Großvaters niedergelassen, und in einer offenen Schublade erblickte er ein Paar winzige Damenschuhe: altmodische Ballschuhe aus weißem Atlas, ganz erhalten, selbst die Bänder waren noch daran, mit denen man sie – den griechischen Sandalen gleich – zu befestigen pflegte. Als er danach fragte, nahm sie der Großvater heraus und zeigte sie ihm. Sie hatten absatzlose, papierdünne Sohlen, gerade nur so groß wie eine Biskotte. Er zeigte auf die abgenützten Stellen und sagte lächelnd: »Siehst du, wie viel die kleine Schelmin getanzt hat!« Dann umschnürte er sie wieder mit ihrem Band und ließ sie in der Tiefe der Schublade verschwinden.
    Er sah den alten Herrn, Péter Abády, lebhaft vor sich, als hätte es damals hinter seinem heiteren Lächeln auch einen Anflug von Nostalgie gegeben, den er erst jetzt erahnte. Ob der Freund des Großvaters wohl von der Trägerin der kleinen Schuhe erzählt hatte? Ging es um deren Roman?
    »Was geschah danach?«, fragte er mit leicht belegter Stimme.
    »Danach? Herr Péter verreiste. Er fuhr weit weg. Drei Jahre kam er nicht nach Hause. Er hielt sich in Ländern auf, die damals keiner besuchte, und viele haben es seither wohl auch nicht getan. Einmal bekam ich von ihm Post – oh, nur ein paar Zeilen – aus Spanien, ein andermal aus Portugal. Später verbrachte er einen Sommer in Schottland, das er zu Fuß durchstreifte, ganz wie ich, der Wanderkomödiant. Er schrieb mir, es gebe dort viele Seen und baumlose Landschaften wie bei uns auf der Siebenbürger Heide …«
    Auch davon hatte Bálint noch nie vernommen. Der alte Abády hatte es niemals erwähnt. Auffallend war einzig – aber der Enkel erwog das damals nicht –, dass der Großvater über jede Region Europas, die gerade zur Sprache kam, so erzählte, als wäre sie ihm aus eigener Erfahrung bekannt. Hatte er sie demnach wirklich besucht? Er hatte sich an vielen Orten herumgetrieben und trug irgendeine Enttäuschung mit sich. Oder war er auf etwas Unverrückbares gestoßen, auf etwas Unabänderliches? Und jetzt, während der Freund des Großvaters sprach und seine Worte immer noch das Geheimnis behüteten, fiel der Blick des jungen Mannes auf die Violine auf dem weißen Tannentisch in der Mitte. Wie schlank und leicht gewölbt sie war. Gleitende Lichter an ihren dunkelgold glänzenden, gebogenen Kanten. Tausend liebliche Töne schliefen darin. Und tausend Erinnerungen. Als schlummerten in ihr alte Leidenschaften, über die sie singen könnte, selbst dann aber nur ein einziges Lied, eines von Passion, Sehnsucht und Fieber, Wollust und Schmerz, doch nichts über das Warum und das Wie, als hüte auch sie – einem Sarg gleich – das Geheimnis.

    Julis brachte die Trauben. Doch kaum lagen sie auf dem Tisch, als mit Geklingel ein Bauernwagen vor dem Haus hielt und das Mädchen zum Fenster trat.
    »Je! Onkel Minya! Andris ist angekommen!«, rief sie freudig und lief hinaus.
    Dann vernahm man Schritte, und jemand riss die Türe auf; András Jópál stand auf der Schwelle. Er stutzte ein wenig beim Anblick der Gäste, schritt dann aber mit einem steifen Gruß an ihnen vorbei und beugte sich zum alten Minya hinunter. Lange flüsterte er ihm etwas ins Ohr.
    Der Alte blickte zu ihm auf, schüttelte missbilligend den Kopf, brummte, entnahm dann seiner Geldbörse gemächlich eine Zehnkronennote und

Weitere Kostenlose Bücher