Die Schrift in Flammen
der Mitte des Munds zum Vorschein, als würde sie etwas Süßes lecken, dann warf sie einen raschen Blick auf Lubiánszky, ihren Nachbarn zur Linken. Da sie sah, dass er sich mit Frau Kanizsay befasste, fuhr sie nun kühner fort: »Sag einmal, ist sie sehr schön?« Dann, mit weit aufgesperrten Augen: »Eine Kokotte, nicht wahr?«
»Aber worüber redest du denn?«, fragte László mit aufrichtiger Verwunderung.
»Oh, du Pharisäer!«, lachte sie zur Antwort, und in ihrer Stimme klang Freude mit, dass sie jetzt ungehörige Dinge erwähnen durfte, die zu wissen sich für ein Mädchen nicht ziemte. »Fünfmal musste man läuten, bis du endlich geöffnet hast, und du hattest den Mut nicht, Licht zu machen, damit man nicht etwas erblickt, was die Frau dort hat liegenlassen.«
László begriff erst jetzt. Es ging um den Besuch an jenem Abend, als Péter und Niki bei ihm erschienen waren. Zornig wandte er sich an seinen jungen Vetter, der um die Tischecke neben ihm saß: »Hast du diesen Unsinn erfunden?«
Doch Niki zog bloß den Kopf zwischen den Schultern ein. Er grinste gemein, antwortete aber nicht. László saß von ihm zu weit entfernt, als dass er ihn hätte zwingen können. So wandte er sich abermals an Magda. In diesen wenigen Augenblicken durchzuckte ihn der Gedanke, dass Niki die von ihm erfundene Lügengeschichte womöglich nicht nur Magda, sondern auch Klára erzählt habe. Bei der Vorstellung, dass dieser Nichtsnutz auch Kláras reine Seele beschmutze, stieg ihm das Blut ins Gesicht.
»Siehst du, wie rot du geworden bist«, flüsterte ihm Magda triumphierend zu, »tja, im Abstreiten bist du wirklich schlecht.«
Noch bevor László hätte antworten können, glitt – ein silbernes Riesenschiff – eine lange metallene Platte in den Raum zwischen ihren Gedecken; das flache Deck war mit bunten, grasgrün-weißen Herzchen beladen, einer feinen Speise, dem fünften Gang des Menüs unter der Bezeichnung »Chaux-froid de bécasses panaché à la Norvégienne«. Und als sich dieser Dreadnought zurückzog, schoben sich hintereinander zwei Torpedodistroyer in der Form von Saucieren vor, mit denen man auch fertigwerden musste. Die Konversation wurde folglich unterbrochen, dies umso mehr, als sich nun ein Arm vordrängte, um Wein einzuschenken, und eine verhaltene Stimme leise, geheimnisvoll raunte: »Merle blanc 92.«
László blickte hinüber zu Klára, die etwas weiter oben zwischen dem Principe und Wuelffenstein plaziert war. Über den Silbergefäßen, die den Tisch bedeckten, waren vom Mädchen nur der Kopf und die entblößten Schultern sichtbar. Die in dem Jahr gerade aktuelle Mode schrieb überaus tief ausgeschnittene Abendkleider vor.
László hatte Klára schon seit langem, wohl seit einem Jahr nicht mehr in großer Abendtoilette gesehen, und vielleicht fiel ihm deswegen auf, wie fraulich und schön sie geworden war. Früher war sie immer ein wenig unentwickelt und mager gewesen, vielleicht litt sie auch unter Blutarmut. Bis zu ihrem dreiundzwanzigsten Jahr hatte sie den Eindruck eines backfischartigen, halbwüchsigen Mädchens erweckt. Dachte er an sie – und er tat es oft –, dann sah er nur ihre mitteilsamen grauen Augen vor sich, da doch alles andere an ihr unauffällig war. Und jetzt war sie unerwartet zu einer glänzenden Schönheit geworden. Ihre Wangen wirkten farbiger, ihr roter Mund voller. Und der Hals, die Schultern, der Ansatz ihres Busens waren auf ähnliche Art voll, sie hatten etwas von der Prallheit von Säuglingen und der Rundheit reifer Pfirsiche, hinter deren gleichmäßiger Blässe man ein inneres Leuchten zu spüren glaubt. Nicht Marmor und nicht Alabaster ist es, sondern der lebendige Glanz einer wunderbaren Frucht. Die Unmenge von Silber warf Reflexe auf ihre lachsfarben matte Haut, und wie das Meer die Sonnenstrahlen auf Gesicht und Arm der Badenden zurückstrahlt, so tanzte das grünliche Flimmern auf Kláras unbedeckten Schultern, in ihrem Mundwinkel und unter dem Kinn, es glitt bei den kleinsten Bewegungen hin und zurück. Die moderne Anadyomene über den zu Silber erstarrten Wellen, dachte László, und sein Entzücken ließ ihn den Zorn von vorhin vergessen.
Klára verspürte seinen Blick. Sie blickte ihn an. Mit den Augen lächelte sie ihm zu. Vielleicht fühlte sie auch, dass er sie schön fand. Das Nachtmahl näherte sich seinem Ende. An der Konversation beteiligten sich nun alle. Jene, die ihren Platz nahe zur Mitte hatten, unterhielten sich auch schon mit den
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