Die Schrift in Flammen
Gegenübersitzenden. Sie handelten die neuesten Ereignisse in der ungarischen Politik ab. Der Principe, Mitglied des österreichischen Oberhauses, hatte das Thema aufs Tapet gebracht: »Stimmt es, dass der Beschluss über die zweijährige Dienstzeit bekanntgegeben wurde? Bei uns hat man hierüber gar nichts gesagt.«
Seine Frage klang so, als wäre er beleidigt, dass man die Nachricht nicht in der Kaiserstadt, sondern in Budapest veröffentlicht hatte. Der alte Kanizsay merkte auf. Er konnte dem Gehörten fast nicht Glauben schenken.
»Na, so was!« Er war sehr empört. Ihm, der in die Armee noch in der Epoche der zwölfjährigen Dienstzeit eingetreten war, kam das ganz unfassbar vor. »Einen Bauern in zwei Jahren zum Soldaten ausbilden! Völlig absurd! Und so etwas wird im Parlament einfach so verkündet! Und Seine Majestät ist einverstanden?«
»Seine Majestät weiß das gewiss am allerbesten zu beurteilen«, bemerkte Szent-Györgyi kühl und etwas streng.
»Es ist wegen der Volksstimmung so gekommen«, setzte Lubiánszky auseinander, der die Gelegenheit, die Verantwortung auf Tisza abzuschieben, freudig ergriff. »Tisza glaubte, damit die militärpolitischen Vorlagen durchzubringen. Natürlich hat er sich getäuscht, und das Ganze war vergeblich.« Und nun berichtete er, was am letzten Freitag, dem 18. November, geschehen war, und er betonte, dass man die Regeln der Hausordnung missachtet habe.
Kanizsay indessen gefiel das. »Diese Tintenschlecker! Diese Bagage!«, sagte er über die ungarische Opposition, und da sich Lubiánszky auf Abády berufen hatte, wandte er sich an Bálint: »Kennst du diesen Tisza? Was ist das für ein Kerl? Ist es ein guter Kerl?« 5 , fragte er in seinem nasalen Befehlston.
Bálint musste lachen.
»Ach, ja! Ein ganz braver ›Kerl‹.«
Lubiánszky konnte das nicht stehenlassen. Er begann langwierig auseinanderzusetzen, welch riesiger Fehler die Anwendung von Gewalt gewesen sei. Und dass es nun keine andere Lösung mehr gebe als die Abdankung der gegenwärtigen Regierung und dass dies der Preis sein müsse, damit die Beschlüsse Gesetzeskraft erlangten. Es fiel ihm ziemlich schwer, all dies zu begründen, zumal mitten im Satz die eine oder andere Platte mit Speisen neben ihm vorgeschoben wurde: Eis mit Obers, »Bombe frappé à la Sumatra« genannt, und dann wieder Biskotten und Tortenschnittchen. Ein andermal fuhr ihm ein livrierter Arm am Gesicht vorbei, und man flüsterte ihm gespenstisch ins Ohr: »Mont-Chandon, Réserve« oder »Tokajer 1822«.
Allmählich schalteten sich alle älteren Männer in die Diskussion ein: Kollonich, Szent-Györgyi und sogar Wuelffenstein, der eher entfernt, weiter oben als Klára saß. Einzig Slawata meldete sich kein einziges Mal zu Wort. Dabei schien er sehr aufzupassen, obwohl die anderen, in Hitze geraten, nun mehrheitlich Ungarisch sprachen. Hinter seinen Brillengläsern kniff er die Augen zusammen, wie das Kurzsichtige tun, so beobachtete er die Runde.
»Interessiert Sie das Thema?«, fragte ihn seine Nachbarin, die schöne Frau Berédy. Verachtung klang in ihrer Stimme mit; gewiss dachte sie, es handle sich wieder um stumpfsinnige Männersachen. Slawata wandte sich ihr zu. Mit seinen schwachen Augen starrte er in ihr tief ausgeschnittenes Kleid, das an der Schulter der Frau nicht eng anlag, sondern hier und dort, unter den Achselhöhlen und zwischen den Brüsten, ein wenig Einblick gewährte und die Geheimnisse des schönen Frauenleibs ahnen ließ.
»Oh«, antwortete der Diplomat, »mir kommt das alles vor, als spräche man Chinesisch.«
Frau Fanny lachte. Ihr leises Lachen klang sinnlich, herausfordernd, als hätte sie eine wollüstige Erinnerung heiter gestimmt. Sie war in solchen Momenten wie eine schöne Katze: die weit geschnittenen Augen bloß enge Schlitze, der wohlgeformte Mund dünn verzogen – das siegreiche Katzentier, das schon zahlreiche Mäuse verzehrt hat.
Kollonich, der bei der kleinsten Diskussion in Rage zu geraten pflegte, war schon ganz rot. Den Butler, der Früchte anbot, schob er heftig zurück. Dabei unterschied sich sein Standpunkt kaum von demjenigen Lubiánszkys. Die Differenz bestand einzig darin, dass Tisza nach seinem Wunsch nicht gleich, sondern erst später stürzen sollte, wenn er überall Ordnung geschaffen und alles vollendet hatte. Jetzt vorläufig, so meinte er, müsse man ihn bei der »Rausschmeißer«-Arbeit unterstützen.
»Jawohl! Man muss ihn unterstützen! Man muss ihm nachsehen, dass er
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