Die Schrift in Flammen
Szent-Györgyi, der ja wie er ein Cousin ersten Grades war, drüben untergebracht. Warum also gerade mich?, dachte er, als er sich an den Toilettentisch setzte.
Viele alte Eindrücke meldeten sich nun zu gleicher Zeit. Ja! Diese heimliche Unterscheidung auf seine Kosten hatte ihn schon als Kind umgeben. Doch damals machte er dafür sein Los als Waise verantwortlich, die Tatsache, dass ihm Vater wie Mutter fehlte. Und seiner Lage haftete damals irgendein romantischer Zauber an, den er – vielleicht unter dem Eindruck des Jugendromans »Der kleine Lord« – ein wenig gekünstelt pflegte. Er sah sich selber in der Hauptfigur des Romans, und er gefiel sich in dieser Rolle. Er stellte sich in seiner Kinderphantasie eine geheimnisvolle, dunkle Herkunft vor, deren Geheimnis sich dann später, nach Jahren, triumphal löste. Betont wurde die Rätselhaftigkeit noch dadurch, dass die erwachsenen Verwandten weder seinen Vater noch seine Mutter je erwähnten. Diese Verwandten behandelten ihn im Übrigen immer sehr lieb und aufmerksam; zu Weihnachten oder an seinem Namenstag erhielt er die gleichen Geschenke wie die eigenen Kinder: anfänglich Spielzeug, später Bücher, eine Reitpeitsche, leichte Flinten mit Schrotpatronen. Führte eine der Tanten die Kollonich- oder Szent-Györgyi-Jungen an einem Sonntag aus dem Theresianum aus und brachte sie in die Oper oder in die Konditorei zu Demel, dann wurde auch er immer mitgenommen. Und in den Ferien vergaß er hier in Simonvásár oder in Nyitra bei den Szent-Györgyis beinahe ganz, dass er stets und überall doch nur ein Gast war.
Nur allmählich, in den letzten Wachstumsjahren, kam es zu kleinen Vorkommnissen, welche die Wirklichkeit immer klarer erhellten. Es waren Lappalien, die aber das Selbstgefühl des übersteigert empfindlichen Waisenkinds wie unerwartete Nadelstiche verletzten. Er entsann sich solcher Vorfälle jetzt mit besonderer Schärfe. Einmal, er mochte 15 Jahre alt gewesen sein, bekamen die Kollonich-Kinder Ponys geschenkt. Auch László ritt auf diesen Tieren, wenn er einen Teil der Ferien bei den Kollonichs verbrachte. Eines Tages übten sie Jagdspringen unter der Aufsicht des mährischen Stallmeisters. Es waren niedrige Hürden und Hecken. Trotzdem verfehlte Lászlós Pony einen Sprung, es stürzte und verrenkte sich am Schulterblatt. Niki, dieser Bengel, vier Jahre jünger als er, sagte ihm tags darauf: »Du bist schuld dran, dass mein Pferd lahmt! Ich erlaube nicht mehr, dass du darauf reitest!« Das war gewiss nur so hergesagt, um ihn zu ärgern, oder aus kindlicher Angeberei, zumal die Pferde nur der Form nach Namen trugen und damit dem oder jenem gehörten; alle gebrauchten sie kreuz und quer, je nach Anweisung des Stallmeisters. Doch László, nach dem kein Pferd benannt war, machte die Mitteilung jäh und kränkend bewusst, dass er bloß Gast war. Die andere, noch schmerzlichere Erinnerung verband sich mit einem Faustkampf, zu dem ihn sein Vetter Alajos, Luika, herausgefordert hatte. Dieser, obwohl anderthalb Jahre jünger als László, war schon als Flegel ein Muskelprotz. Das Ganze begann als Spiel und mit der Abmachung, keinen Schlag gegen den Kopf zu richten. Luika hielt sich aber keine Minute daran. Hierauf verlor auch László die Beherrschung, wischte dem Gegner eins aus und traf ihn zufällig am Maul. Gewaltige Bestürzung war die Folge, denn Blut sickerte aus den Lippen des anderen, und einer seiner Zähne hatte sich gelockert. Den Jungen ließ das ganz unbekümmert, doch Tante Ágnes, seine Mutter, der die Erzieher den Fall natürlich gleich gemeldet hatten, war ernsthaft erbost. László musste sich entschuldigen, obwohl auch sein Gesicht von manchem blauen Fleck entstellt war und das Spiel als Erster nicht er, sondern Luika hatte ausarten lassen.
Jetzt, da er daran zurückdachte, sah er immer noch den drohenden Blick seiner Tante. In ihren verzeihenden Worten klang die Drohung mit, dass, wenn das ein zweites Mal vorkommen sollte, sie ihm den Zutritt zum Haus verbieten werde. Das waren alte, acht bis zehn Jahre zurückliegende Geschichten. Seither aber häuften sich Vorfälle dieser Art; sie unterstrichen den Unterschied, der an Vermögen und gesellschaftlicher Position zwischen ihm und seinen nächsten Verwandten bestand. Und alles setzte sich innerlich in ihm fest. Nicht dass er den kleinsten Neid empfunden hätte, doch da er den anderen in keiner Weise nachstand, empfand er es als ungerecht, herablassend behandelt zu werden. Eher offen
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