Die Schrift in Flammen
lächelte er nun schadenfreudig. Gewiss dachte er an die Diskussion vom Vortag und an die Spötterei, die Wuelffenstein und Niki hinter ihm mit so herzhaftem Gelächter begleitet hatten.
»Ich habe dich lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir? Was tust du? Schade, dass du den auswärtigen Dienst quittiert hast.«
Nach diesen Höflichkeitsformeln fuhr er ernsthafter fort: »Nein, es ist trotzdem nicht schade.« Es sei gut, dass Bálint die ungarischen Verhältnisse kennenlerne. Wenn er alles beobachte und sich aneigne. Gut, dass dies ein Mann tue, der die Dinge mit seinem im Ausland geschulten Blick erfasse. »Ja, das ist wertvoll. Wertvoll, wenn wir an die Zukunft denken. Du bist parteilos, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sehr richtig. Heutzutage am richtigsten.«
Er solle aktiv an nichts teilnehmen, sondern nur auf alles achten. Menschen und Dinge beobachten. Und sich nirgends anschließen. »Diese Welt dauert eh nicht mehr lange.«
Bálint merkte auf. Ihm kam das Gerücht in den Sinn, Slawata sei einer der Vertrauensleute Franz Ferdinands, des Thronfolgers. Man sagte das über ihn hinter vorgehaltener Hand. Abády spürte jetzt mit Gewissheit, dass der Botschaftsrat aus diesem Grund mit ihm sprechen wollte; vielleicht lag ihm daran, ihn abzutasten, vielleicht hatte er die Absicht, ihn für das Lager des Thronfolgers zu gewinnen. Er gab deshalb vorsichtige, unverbindliche Antworten, war aber darauf bedacht, dass der andere über das Thema weitersprach. Vielleicht würde er endlich Einblick gewinnen in die Werkstatt im Schloss Belvedere, über die so viel Abenteuerliches erzählt wurde, ohne dass jemand Gewissheit gehabt hätte.
»Unser alter Herrscher kann ja nicht ewig leben, nicht wahr?«, fuhr Slawata in gedämpftem Ton fort, denn man pflegt, wenn gefährliche Dinge zur Sprache kommen, die eigene Stimme unwillkürlich zurückzunehmen. »Einige Jahre, nicht wahr? Wie viele? Vier bis fünf? Dann folgt Seine Hoheit. Damit muss man rechnen. Mit dieser Gewissheit. Mit Franz Ferdinand. Unter ihm wird es eine andere Welt geben. Eine ganz andere. Ja. Nicht diesen morschen Dualismus, an den sich der alte Herr so sehr klammert. Er hat darauf einen Eid abgelegt, da klammert er sich natürlich daran. Der neue Herrscher hat aber nichts versprochen und wird es auch nicht tun. Nichts bindet ihn. Es steht fest, dass er das Reich auf neue Grundlagen stellen wird. Ja. Sein Programm liegt fertig vor. Dazu wird man neue, unkompromittierte Leute brauchen. Solche, die sich diesem komplizierten und unbrauchbaren System nicht verpflichtet, es nicht mitgetragen haben. Was an die Stelle des Dualismus treten wird? Stärkere Zentralisierung. Verfassungsmäßigkeit, ja, natürlich. Statistische Wahrheit. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Verbündete Länder gemäß den Nationalitäten, vertreten in einem einzigen gemeinsamen Reichsrat. Alles Wichtige wäre dessen Sache: sämtliche Finanzen, die Armee, die Seemacht. Oder wir hätten als Lösung einen Trialismus mit den katholischen und den südlichen Slawen als dritter Partei. Auch das ist möglich. Gewiss ist aber, dass die heutige Ordnung verschwindet. Es trifft sich jetzt ganz gut, dass Tisza diese großmäulige ungarische Opposition in die Schranken weist, wir brauchen Kredite und Rekruten, Hauptsache ist jetzt der Ausbau der Armee. Und mit dieser Streitmacht wird Seine Hoheit in allen anderen Fragen Ordnung schaffen.«
Bálint lauschte erstarrt. Nur hie und da stellt er eine Frage oder machte einen Einwand. Slawata sprach und sprach. Er redete vertraulich, denn unter den Leuten, die je zum Ballhausplatz gehört hatten, blieb dieses Verhältnis – wie bei den Freimaurern – immer erhalten. Es behielt seine Geltung, selbst wenn jemand aus dem Dienst ausschied, als hätte die Tatsache, dass er einst in die heiligen Geheimnisse der Chiffrierung eingeweiht worden war, eine ewig währende Beziehung geschaffen.
Slawata malte begeistert die glänzende Zukunft aus: »Sind wir einmal so weit, dann lässt sich eine Politik großen Stils machen. Wir könnten den Balkan beherrschen, gegebenenfalls Vasallenkönigreiche einrichten, in denen wir die Zweitgeborenen der Dynastie plazieren würden. Zur richtigen Großmacht könnten wir werden, statt dass wir heute in Europa die Rolle des zweiten ›kranken Mannes‹ spielen. Wir wären diejenigen, die befehlen, jawohl, befehlen, hinunter bis zum Marmarameer!«
Ihr Wagen näherte sich dem Ziel, einem kleinen Wald.
»Überleg dir das, Abády!
Weitere Kostenlose Bücher