Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
ein.
Bei Sonnenuntergang half mir ein alter Schwarzer namens Batist dabei, den Laden zu schließen und unsere Mietboote an den Pfählen unter dem Bootssteg anzuketten. Blitze zuckten über dem Golf und in der Ferne hörte ich den Donner grollen, aber die Luft war trocken, die Bäume entlang der Straße waren mit Staub überzogen, und der beißende Qualm, der von einem abbrennenden Müllhaufen in der Nachbarschaft aufstieg, legte sich wie grauer Dunst über den Bayou.
Die schlimmste Dürre in der Geschichte von Louisiana ging nun schon ins dritte Jahr.
Ich spritzte das angetrocknete Fischblut und die Schuppen von den Planken, klappte dann die Cinzano-Schirme zusammen, die in den Kabelrollentischen auf dem Bootsanleger steckten, und ging in den Laden.
Vor ein paar Jahren hatte mir ein Freund den Nachbau einer klassischen Wurlitzer-Jukebox geschenkt, einen Musikautomaten mit einer Glaskuppel, um die rundum Lichter waberten, wie flüssige Bonbonmasse, die noch nicht in Form gegossen worden ist. Er hatte sie mit lauter 45er-Platten aus den fünfziger Jahren bestückt, und ich hatte sie seither nicht ausgetauscht. Ich warf einen mit rotem Nagellack bemalten Quarter ein und ließ Guitar Slims »The Things That I Used to Do« laufen.
Ich hatte noch nie einen Sänger gehört, in dessen Stimme so viel Traurigkeit lag. Ohne jedes Selbstmitleid sang er diesen Song, fand sich nur damit ab, dass ihm seine Frau, die er über alles auf der Welt liebt, untreu wird und nicht nur seine Liebesbezeugungen zurückweist, sondern sich überdies einem bösen Mann hingibt.
Guitar Slim war zweiunddreißig, als er am Alkohol starb.
»Das is ein alter Blues, nicht wahr?«, sagte Batist.
Batist war jetzt weit über siebzig, so unbeugsam und eigensinnig wie eh und je, die Haare rauchgrau, die Hände mit rosa Narben gesprenkelt, die er sich auf den Fischerbooten, auf denen er Zeit seines Lebens gearbeitet hatte, und beim Austernaufbrechen in einer der Konservenfabriken der LaSalles zugezogen hatte. Aber er war nach wie vor ein kräftiger, hoch gewachsener Mann, der fest auf sich vertraute, selbstbewusst war, was sein Können als Bootsführer und Fischer anging, und stolz darauf, dass seine sämtlichen Kinder die Highschool abgeschlossen hatten.
Er war zu einer Zeit groß geworden, als Farbige nicht mehr gezüchtigt und misshandelt, sondern eher als billige Arbeitskräfte benutzt wurden, die man wie selbstverständlich hinnahm, aber zugleich darauf achtete, dass sie ungebildet und arm blieben. Noch größeres Unrecht tat ihnen der weiße Mann vermutlich mit seiner Verlogenheit an, wenn sie ihre Ansprüche geltend machten. In diesem Fall behandelte man sie für gewöhnlich wie Kinder, gab ihnen allerlei Versprechen und Zusicherungen, die nie gehalten wurden, schickte sie fort und vermittelte ihnen das Gefühl, dass sie all ihre Schwierigkeiten nur sich selber zuzuschreiben hatten.
Aber ich hatte nie erlebt, dass sich Batist verbittert oder wütend über seine Jugendjahre äußerte. Allein aus diesem Grund hielt ich ihn für den vielleicht bemerkenswertesten Menschen, den ich je kennen gelernt hatte.
Der Text und der wie Glocken hallende Klang von Guitar Slims rollenden Akkorden ging mir unter die Haut. Ohne dass er auch nur mit einem Wort erwähnte, an welchem Ort und zu welcher Zeit er gelebt hatte, ließ er in seinem Song das Louisiana wieder erstehen, in dem ich aufgewachsen war – die endlosen Zuckerrohrfelder, die unter einem dunkel werdenden Himmel im Wind wogten, die unbefestigten gelben Fahrwege und die Reklameschilder für Hadacol und Jax-Bier, die an die Wände der Gemischtwarenläden genagelt waren, die von Pferden gezogenen Buggys, die während der Sonntagsmesse unter den Tupelobäumen standen, die aus Brettern zusammengezimmerten Tanzschuppen, in denen Gatemouth Brown, Smiley Lewis und Lloyd Price spielten, und die Bordellbezirke, die von Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung florierten und im ersten Tageslicht irgendwie unsichtbar wurden.
»Denkst du über Tee Bobby Hulin nach«, fragte Batist.
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
»Der Junge hat eine üble Saat in sich, Dave.«
»Julian LaSalles?«
»Ich sag, man soll das Böse auf dem Friedhof lassen.«
Eine halbe Stunde später schaltete ich draußen die Strahler und die über den Bootssteg gespannten Lichterketten aus. Ich schloss gerade die Ladentür ab, als ich drinnen das Telefon klingeln hörte. Ich wollte es bereits auf sich bewenden lassen, ging aber doch
Weitere Kostenlose Bücher