Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
ich.
»Woher willst du das wissen?«
»Gute Menschen ändern sich nicht. Schlechte manchmal schon. Aber gute Menschen nicht.«
»Du bist ein hoffnungsloser Romantiker, Dave.«
»Meinst du?«
Sie lachte laut und widmete sich wieder ihrem Buch. Ich ging in die Küche, hoffte, dass ihr nicht auffiel, wie mir tatsächlich zumute war. Denn in Wirklichkeit kribbelte mir die Haut vor lauter Unruhe – die gleiche innere Unruhe, wie ich sie während meines kurzen Techtelmechtels mit Amphetaminen erlebt hatte. Aber diesmal war nicht der weiße Wurm der Auslöser; ich hatte nur fortwährend das Gefühl, dass sich mein treuer Freund Clete Purcel wieder einmal haarscharf am Rande einer Katastrophe bewegte.
»Wo gehst du hin?«, sagte Bootsie.
»Zu Clete. Ich bin in ein paar Minuten wieder da«, sagte ich.
»Machst du dir Sorgen um ihn?«
»Ich habe ihm mehrmals eine Nachricht hinterlassen. Clete ruft mich immer an, sobald er eine Nachricht erhält.«
»Vielleicht ist er in New Orleans.«
»Legion Guidry war heute beim Köderladen. Er wollte wissen, ob Clete hier gewesen ist.«
Das Buch fiel von ihrem Knie. In ihrer Lesebrille spiegelte sich das Licht, als sie zu mir aufblickte.
Ich fuhr zu seinem Apartment an der Loreauville Road. Die Unterwasserscheinwerfer im Swimmingpool waren eingeschaltet, und der Hausverwalter, ein alter Jude, der als Halbwüchsiger im Konzentrationslager Bergen-Belsen gewesen war, stellte die Gartenmöbel auf einem überdachten Gehweg übereinander.
»Haben Sie Clete Purcel gesehen, Mr. Lemand?«, fragte ich.
»Heute früh. Er hat sein Angelzeug hinten ins Auto geladen. Eine junge Frau war bei ihm«, erwiderte er.
»Hat er gesagt, wann er wieder zurückkommt?«
»Nein. Tut mir Leid«, sagte Mr. Lemand. Er war ein kahlköpfiger, verhutzelter Mann mit braunen Augen und zierlichen Händen. Er trug stets einen Schlips und ein gestärktes Hemd, und noch nie hatte ihn jemand ohne Sakko beim Abendessen sitzen sehen. »Sie sind schon der Zweite, der sich heute nach Mr. Purcel erkundigt hat.«
»Aha?«
»Ein Mann mit einem roten Laster war hier. Er blieb eine ganze Weile auf dem Parkplatz im Auto sitzen, unter den Bäumen, und hat eine Zigarette nach der anderen geraucht. Vielleicht kennen Sie den Mann von Berufs wegen«, sagte Mr. Lemand.
»Was meinen Sie damit?«
Er drehte einen Plastikstuhl um und stellte ihn auf einen Tisch.
»In meiner Kindheit habe ich solche Augen gesehen. Das war in Deutschland, zu einer ganz anderen Zeit. Er wollte wissen, ob Mr. Purcel bei Miss Shanahan sei. Sie wissen schon, Miss Shanahan von der Bezirksstaatsanwaltschaft. Ich habe ihm nichts gesagt.«
»Gut so.«
»Glauben Sie, er kommt wieder, dieser Mann mit dem Laster?«
»Wenn ja, rufen Sie mich an. Hier, ich schreibe Ihnen meine Privatnummer hinten auf meine Visitenkarte«, sagte ich und reichte sie ihm.
»Dieser Mann hatte einen Geruch an sich. Zuerst dachte ich, ich bilde mir das nur ein. Habe ich aber nicht. Es war ekelhaft«, sagte er.
Forschend schaute er mich an, suchte nach einer Erklärung. Aber ich konnte ihm keine geben. Der Pool funkelte klar und grün im Schein der Unterwasserlichter, war mit Regenringen gesprenkelt, die wie Kettenglieder ineinander griffen. Ich ging hinaus in die Dunkelheit, auf den Parkplatz, und ließ meinen Pickup an.
Wer sonst würde bei einem Gewitter angeln gehen oder sich keinen Deut um die Gefahr scheren, die von einem Mann wie Legion Guidry ausgeht?, fragte ich mich. Aber das war Cletes Art – keck und trotzig, wenn man ihm mit Vorschriften und Regeln kam, unbelehrbar, immerzu grinsend, auch im dicksten Pulverdampf, fest davon überzeugt, dass er alles überstehen konnte.
Bekanntlich hielten James Jones und Ernest Hemingway nicht allzu viel voneinander. Aber beide schildern auf ganz ähnliche Art und Weise die verschiedenen Entwicklungsstufen, die ein Frontsoldat durchmacht. Jeder der beiden Autoren schreibt, dass die zweite Stufe die gefährlichste ist, unmittelbar nachdem der Soldat seinen ersten Kampfeinsatz überlebt hat, weil er dann das Gefühl hat, eine göttliche Hand habe ihn behütet, und davon überzeugt ist, dass er in der einen Schlacht nicht verschont geblieben wäre, wenn er in der nächsten sterben müsste.
Clete war über diese zweite Stufe im Leben eines Frontsoldaten nie hinausgekommen. Sein Mut und sein geradezu unheimliches Wissen über seine Feinde waren seine Stärke. Aber dem standen seine großen Schwächen entgegen – sein
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