Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Draufgängertum und das völlige Unvermögen, die Folgen vorauszusehen oder auch nur halbwegs einschätzen zu können, die er damit anrichtete. Weil er, um es einfacher auszudrücken, nicht wahrhaben wollte, dass eine Abrissbirne nach beiden Seiten ausschlägt.
Ich fuhr zu dem Motel, wo Joe Zeroski und Zerelda Calucci wohnten. Zerelda war nicht in ihrem Cottage, aber Joe war da. Er trug eine Schlafanzughose und ein T-Shirt, hatte Schlappen an den Füßen und hielt mir die Tür auf, während ihm der Regen ins Gesicht wehte.
»Sie kommen mir grade recht«, sagte er.
»Ich?«, sagte ich.
»Yeah, die ganze Stadt gehört abgefackelt. Ich habe den Sheriff zu Hause angerufen. Er hat gesagt, ich soll während der Dienstzeit mit ihm sprechen. Hey, halten sich die Irren etwa an die Dienstzeit? Das gilt auch für Blimpo.«
»Mit Blimpo meinen Sie Clete?«
»Nein, Nancy Reagan. Was glauben Sie denn, wen ich damit meine?«
»Sie sind mir ein bisschen zu schnell, Joe,«Ich zog die Tür hinter mir zu. Sein Fernseher lief, und ein Glas Milch und ein Sandwich standen auf einem Tischchen neben einem Polstersessel.
»Purcel ist mit meiner Nichte angeln gegangen. Er hat auch nicht gesagt, wohin, was nichts anderes heißt, als dass er mit ihr bumsen will, ohne dass ich in der Nähe bin. Unterdessen klopft Marvin Matschkopf an ihrer Tür, hat ein paar Rosen in der Hand und diesen Kotztütenausdruck auf dem Gesicht«, sagte er.
»Wann?«, fragte ich.
»Vor zwei Stunden.«
»Wo ist Oates jetzt?«, fragte ich.
»Woher soll ich das wissen? Kein Wunder, dass hier ein Verbrechen nach dem andern passiert. Machen Sie, dass Sie hier rauskommen«, sagte er.
»Joe, ich glaube, Marvin hat womöglich Ihre Tochter ermordet«, sagte ich.
»Sagen Sie das noch mal.«
»Marvin Oates hat im Bezirk St. Mary eine Frau belästigt. Er kreuzt ständig irgendwo auf, wo er nichts verloren hat.«
»Wann sind Sie auf diesen Typ gekommen?«, sagte Joe.
»Insgeheim haben wir ihn schon seit einiger Zeit im Verdacht.«
»Insgeheim? Sie haben vielleicht eine Ausdrucksweise drauf.«
»Ich bin hergekommen, Joe, weil ich mir Sorgen um Clete und Zerelda mache. Wenn Sie mir in irgendeiner Weise helfen können, haben Sie bei mir was gut.«
Er wollte mir einen wütenden Blick zuwerfen, besann sich dann.
»Ich weiß nicht, wo sie sind. Aber ich kann ein paar Anrufe machen«, sagte er.
»Keine Wildwest-Nummern. Oates ist ein Verdächtiger. Mehr nicht«, sagte ich
»Denken Sie, der hat auch Frankie erledigt?«, sagte er
»Möglicherweise.«
»Wie kann so ein Bauernlackel jemand wie Frankie Dogs umlegen? Ein Typ, der Stiefel trägt, die aussehen, als ob er sie von ’ner puertoricanischen Schwuchtel hat. Haben Sie schon mal einen halbwegs normalen Menschen gesehen, der grünrote Stiefel trägt?«
»Wann haben Sie ihn mit diesen Stiefeln gesehen?«
»Heute Abend. Warum?«
Ich fuhr wieder nach Hause. Ich versuchte mir vorzustellen, wo Clete stecken könnte, aber mir fiel nichts ein. Ich rief noch einmal in seinem Apartment an und erreichte wieder nur den Anrufbeantworter, aber diesmal legte ich einfach auf.
»Clete fällt immer wieder auf die Füße«, sagte Bootsie.
»Das würde ich nicht sagen«, erwiderte ich.
»Du musst ihn sein Leben leben lassen, Dave«, sagte sie.
Ich ging hinaus auf die Galerie, setzte mich auf einen Sessel, ohne das Licht anzuschalten, und sah zu, wie der Regen auf den Sumpf fiel. Ich musste an die Bibelstelle denken, in der es heißt, dass Gott seine Sonne aufgehen lässt über die Bösen und über die Guten, und regnen über Gerechte und Ungerechte. Nur ein paar Meilen weiter weg saßen Jimmy Dean Styles und Tee Bobby Hulin im Bezirksgefängnis, wo sie dreiundzwanzig Stunden am Tag unter Verschluss gehalten wurden, ohne Haftverschonung auf Kaution. Ich fragte mich, ob sich Tee Bobby mittlerweile in sein Schicksal gefügt hatte, ob er über die Mauer hinweg auf die nassen Zuckerrohrfelder blickte, und begriff, wie seine Zukunft aussah – dass er sein Leben lang Frondienst auf der Sträflingsfarm von Angola leisten musste und irgendwann unter einem Erdhaufen auf dem Gefängnisfriedhof am Lookout Point landen würde, wo nirgendwo ein Name stand, nur Nummern.
Ich fragte mich auch, ob Jimmy Dean Styles noch an seinem Schicksal zweifelte. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als in einem Käfig gefangen zu sein, genau zu wissen, an welchem Tag, zu welcher Stunde, Minute und Sekunde man von anderen Menschen vom Leben zum
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