Die Schuld des Tages an die Nacht
stürzten trotz des Verbots, sich zu zeigen, zu den Türen, und die Kinder schnellten wie die Springmäuse aus ihrem Bau, um sich der Gruppe anzuschließen; der Krach wuchs ins Grenzenlose.
Unter diesen sagenhaften Gestalten lief Slimane sämtlichen Konkurrenten den Rang ab. Seine Musik sprudelte klar und sanft wie Quellwasser, und sein Seidenäffchen war ausgesprochen drollig. Es hieß, Slimane sei als Christ zur Welt gekommen, in einer wohlhabenden und gebildeten französischen Familie, doch dann habe er sich in eine Beduinin aus Tadmait verliebt und sei zum Islam konvertiert. Man erzählte sich auch, dass er auf großem Fuß hätte leben können, denn seine Familie hatte sich nicht von ihm losgesagt, aber er habe es vorgezogen, dem Volk seiner Wahl nahe zu sein und Freud und Leid mit ihm zu teilen. Das rührte uns sehr. Da war kein Berber oder Araber, selbst unter den eher fragwürdigen Gestalten, der ihm den Respekt verweigert oder auch nur einmal die Hand gegen ihn erhoben hätte. Ich mochte diesen Mann unheimlich gern. Inzwischen bin ich ein Greis und spreche aus tiefer Überzeugung. So weit meine Erinnerung reicht, hat mir kein anderer je so strahlend deutlich vor Augen geführt, was mir als höchster Grad der Reife erscheint: das Unterscheidungsvermögen. Nämlich die Fähigkeit, hinter die Fassade zu blicken und die Spreu vom Weizen zu trennen – jene heutzutage so rare Tugend, die jedoch damals, als man nicht viel auf uns gab, unser Volk über sich hinauswachsen ließ.
Mit der Zeit gelang es mir auch, einen Freund zu finden – glaubte ich jedenfalls. Er hieß Ouari und war ein paar Jahre älter als ich. Ein schmächtiger Bursche, klapperdürr, hell-, fast rothaarig,mit buschigen Brauen und sichelschmaler Hakennase. Er war nicht wirklich ein Freund, doch meine Anwesenheit schien ihn nicht zu stören, und da ich die seine brauchte, strengte ich mich an, ihrer würdig zu sein. Ouari war vermutlich ein Waisenkind – oder ein Ausreißer, denn ich habe ihn kein einziges Mal aus einem Haus kommen oder in eines hineingehen sehen. Er vegetierte hinter einem riesigen Schrotthaufen in einer Art Voliere vor sich hin, deren Boden dick mit Exkrementen bedeckt war. Die meiste Zeit über fing er Stieglitze, die er dann verkaufte.
Ouari sprach nie. Ich konnte ihm stundenlang Dinge erzählen, ohne dass er mich je beachtete. Er war ein rätselhafter, eigenbrötlerischer Junge, der einzige im ganzen Viertel, der Stadthose und Mütze trug, während wir übrigen in Gandura und Scheschia herumliefen. Abends bastelte er aus Olivenzweigen und Vogelleim Fallen. Morgens zog ich mit ihm in den Maquis und half ihm, seine Fallen im Gestrüpp zu verstecken. Immer wenn sich ein Vogel darauf niederließ und wild mit den Flügeln zu schlagen begann, warfen wir uns auf ihn und steckten ihn in einen Käfig, den wir nach und nach mit weiteren Vögeln füllten. Dann zogen wir mit unseren Jagdtrophäen durch die Straßen und boten sie den Vogelhändlerlehrlingen zum Kauf an.
Bei Ouari habe ich mein erstes Geld verdient. Ouari schummelte nicht. Am Ende unserer Verkaufstour, die sich über mehrere Tage erstreckte, forderte er mich auf, ihm in einen stillen Winkel zu folgen, und leerte dann den Inhalt der Jagdtasche, in der er sein Geld aufbewahrte, auf den Boden. Er nahm sich einen Sou, schob mir den nächsten zu und so fort, bis es nichts mehr zu teilen gab. Dann begleitete er mich zum Patio und verschwand. Am folgenden Morgen suchte ich ihn wieder in der Voliere auf. Ich glaube, von sich aus wäre er niemals zu mir gekommen, er wirkte immer so, als könne er auf meine oder überhaupt jede Hilfe gänzlich verzichten.
Ich fühlte mich wohl bei Ouari. War frohgemut und voller Zuversicht.Selbst dieser Teufel von Daho ließ uns in Ruhe. Ouari hatte einen düsteren, metallenen, undurchdringlichen Blick, der Störenfriede auf Abstand hielt. Zwar redete er wenig, doch er brauchte nur die Stirn zu runzeln, und schon nahmen die Straßenjungen Reißaus, so fix, dass ihre Schatten kaum Schritt halten konnten. Ich glaube, in Ouaris Nähe war ich glücklich. Ich hatte Geschmack an der Stieglitzjagd gefunden und so einiges über Fallenbau und die Kunst der Tarnung gelernt.
Doch eines Abends brach alles zusammen, während ich doch dachte, mein Vater würde endlich einmal so richtig stolz auf mich sein. Ich hatte bis nach dem Abendessen gewartet und dann meinen Geldbeutel aus dem Versteck geholt. Aufgewühlt und mit bebender Hand hatte ich meinem
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