Die Schuld des Tages an die Nacht
Kleider gekauft. Morgen kaufst du ihm alles, was er sonst noch braucht.«
»Fein, ich kümmere mich darum. Deine Kunden warten sicher schon.«
»Sieh einer an, du willst ihn wohl für dich allein haben?«
Germainekauerte sich wieder vor mich hin und sah mich an.
»Ich glaube, wir werden uns gut verstehen, nicht wahr, Jonas?«, sagte sie auf Arabisch zu mir.
Mein Onkel legte das Kleiderpaket auf eine Kommode und machte es sich auf einem Sofa bequem, die Hände auf den Knien, den Fes nach hinten geschoben.
»Du wirst doch nicht die ganze Zeit da herumsitzen und uns bespitzeln?«, fragte Germaine. »Mach dich lieber wieder an die Arbeit.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage, mein Schatz. Heute habe ich Urlaub. Ich habe ein Kind im Haus.«
»Das ist doch nicht dein Ernst?«
»Es war mir im ganzen Leben noch nie so ernst.«
»Gut«, lenkte Germaine ein, »dann werden Jonas und ich jetzt ein schönes Vollbad nehmen.«
»Ich heiße Younes«, erinnerte ich sie.
Sie bedachte mich mit einem gerührten Lächeln, strich mir mit der Hand über die Wange und flüsterte mir ins Ohr:
»Jetzt nicht mehr, mein Liebling …«
Dann, an meinen Onkel gewandt:
»Wenn du schon da bist, kannst du ja das Badewasser heiß machen.«
Sie schob mich in ein kleines Zimmer, in dem eine Art gusseiserner Kessel stand, öffnete einen Wasserhahn und begann mich zu entkleiden, während die Wanne sich mit Wasser füllte.
»Wir werden uns jetzt von diesen Lumpen trennen, nicht wahr, Jonas?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Blick folgte ihren weißen Händen, die über meinen Körper glitten, mich meiner Scheschia, meiner Gandura, meines abgetragenen Unterhemds und meiner Gummistiefel entledigten. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich entblätterte.
Mein Onkel kam mit einem dampfenden Eiseneimer an. Verschämt wartete er im Korridor. Germaine half mir in die Wanne, seifte mich von Kopf bis Fuß ein und wusch mich mehrfach,wobei sie mich kräftig mit einer duftenden Lotion einrieb, wickelte mich dann in ein großes Badetuch und holte meine neuen Kleider. Als ich fertig angekleidet war, zog sie mich vor einen großen Spiegel – ich war jetzt ein anderer. Ich trug eine Tunika, die aus einer Matrosenbluse mit breitem Hemdkragen bestand und vorne zur Zierde vier große Messingknöpfe hatte, dazu eine kurze Hose mit Seitentaschen und genau dieselbe Art Mütze wie Ouari.
Mein Onkel erhob sich zur Begrüßung, als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er war so über alle Maßen glücklich, dass es mich schon beunruhigte.
»Ist er nicht wunderbar, mein kleiner barfüßiger Prinz?«, rief er aus.
»Hör auf, du wirst noch den bösen Blick anlocken! Und was die bloßen Füße betrifft, du hast vergessen, ihm Schuhe zu kaufen!«
Mein Onkel schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Stimmt. Wo hatte ich nur meinen Kopf?«
»Gewiss in den Wolken.«
Mein Onkel ging sofort aus dem Haus. Nach einiger Zeit kam er mit drei Paar Schuhen verschiedener Größe zurück. Die kleinsten passten. Es waren schwarze Schnürschuhe aus weichem Leder, die mich an den Knöcheln ein wenig kratzten, aber meine Füße ganz wunderbar umfassten. Mein Onkel brachte die anderen nicht in den Laden zurück, sondern hob sie für die nächsten Jahre auf …
Sie ließen mich nicht eine Sekunde allein, kreisten um mich herum wie zwei Schmetterlinge ums Licht, führten mich durch das ganze Haus, dessen Schlafzimmer mit den hohen Decken so geräumig waren, dass sie die gesamte Mieterschaft von Bliss, dem Makler, hätten aufnehmen können. Stoffvorhänge wallten zu beiden Seiten von Fenstern mit blitzblanken Scheiben und grünen Fensterläden zu Boden. Es war ein schönes sonnendurchflutetes Gebäude, ein wenig verwinkelt, so kam es mir am Anfangvor, mit all den Korridoren und Geheimtüren, Wendeltreppen und Wandschränken, die ich erst für Zimmer hielt. Ich dachte an meinen Vater, an unsere ärmliche Hütte auf dem verlorenen Grund und Boden, unser Rattenloch in Djenane Djato; der Kontrast erschien mir so ungeheuerlich, dass mir schwindelte.
Germaine lächelte mich jedes Mal an, wenn ich zu ihr hinsah. Sie verhätschelte mich bereits. Mein Onkel wusste nicht, wie er mich am besten zu fassen bekam, ließ aber nicht von mir ab. Sie zeigten mir alles auf einmal, lachten über jede Kleinigkeit, hielten sich manchmal an den Händen und beobachteten mich, zu Tränen gerührt, während ich, ungläubig staunend, die Gegenstände der modernen Welt entdeckte.
Abends
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