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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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wendig. Die Finten und Ausweichmanöver, die er als geübter Ganove beherrschte, triumphierten am Ende über den Mut meines Vaters, der als unbedarfter, wortkarger Bauer wenig Erfahrung im Nahkampf hatte. Schließlich stürzte er zu Boden. El Moro hatte ihm ein Bein gestellt und fiel sofort über ihn her, ließ ihm keine Chance, wieder hochzukommen. Er drosch pausenlos auf ihn ein, in der unverkennbaren Absicht, ihn zu erledigen. Ich war versteinert. Wie in einem bösen Traum. Ich wollte schreien, meinem Vater zu Hilfe eilen, aber nicht ein Muskel gehorchte mir. Das Blut meines Vaters vermischte sich mit dem Regenwasser, sickerte in die Gosse. El Moro war das einerlei. Er wusste genau, was er wollte. Als mein Vater aufhörte, sich zu wehren, kauerte der Räuber sich vor sein Opfer und schob ihm die Gandura hoch. Sein Gesicht leuchtete auf wie ein Blitz indunkler Nacht, als er die pralle Geldbörse unter seiner Achsel entdeckte. Mit einem Messerhieb trennte er die Riemen auf, mit denen die Börse an der Schulter meines Vaters befestigt war, wog sie zufrieden in der Hand und verschwand – ohne mich eines Blicks zu würdigen.
    Mein Vater blieb lange Zeit reglos am Boden liegen, das Gesicht zu Brei zerschlagen, mit verrutschter Gandura, die seinen nackten Bauch freigab. Ich konnte nichts für ihn tun. Ich war auf einem anderen Stern. Ich habe keinerlei Erinnerung, wie wir nach Hause gekommen sind.
    »Man hat mich verraten und verkauft!«, wütete mein Vater. »Dieser Hund hat auf mich gewartet. Er hat mir aufgelauert. Er wusste, dass ich Geld bei mir hatte. Er wusste es. Er wusste es. Das war kein Zufall, nein. Dieser Satansbraten hat mich erwartet.«
    Dann verstummte er.
    Tagelang drang kein Wort aus seinem Mund.
    Ich habe Kerzen bersten und Erdhügel nach einem Wolkenbruch bröckeln sehen. Ein ähnliches Schauspiel bot mir mein Vater. Er zerfiel unaufhaltsam, löste sich Faser um Faser auf, aß nichts und trank nichts. In seinen Winkel verkrochen, das Gesicht zwischen den Knien und die Hände im Nacken, grübelte er stumm vor sich hin, kaute schwer an seiner Verbitterung und seinem Groll. Er verstand, dass das Unheil stets das letzte Wort haben würde, was immer er auch tun oder sagen mochte, und dass keine Bergpredigt und kein noch so frommer Wunsch imstande wären, den Lauf des Schicksals zu ändern.
    Eines Nachts dann polterte dieser Trunkenbold auf der Straße herum. Obszöne Flüche und Beleidigungen wirbelten durch den Patio wie ein unheilvoller Wind, der in eine Grabkammer hineinfährt. Die Stimme klang wild und animalisch, Hass und Verachtung schwangen in ihr, als sie die Männer als Hunde und die Frauen als Dreckssäue beschimpfte und den Elenden und Ängstlichen finstere Tage versprach. Es war eine selbstherrliche,herrschsüchtige Stimme, der man anmerkte, dass sie sich straflos wähnte, und die darum nur umso infamer klang, eine Stimme, die die kleinen Leute unter tausend apokalyptischen Geräuschen herauszuhören gelernt hatten: die Stimme von El Moro!
    Als mein Vater sie erkannte, fuhr er so heftig auf, dass sein Hinterkopf gegen die Wand prallte. Sekundenlang war er wie erstarrt; dann erhob er sich, gleich einem Gespenst, das aus seinem Dämmerzustand erwacht, entzündete die Petroleumlampe, wühlte in einem Haufen Wäsche, der in der Ecke lag, herum und zog eine alte, abgewetzte Ledertasche hervor. Er öffnete sie. Seine Augen leuchteten im Widerschein der Funzel. Er hielt den Atem an, dachte kurz nach, dann schob er seine Hand entschlossen in die Tasche. In seiner Faust blitzte die Klinge eines Schlachtermessers. Er stand auf, zog seine Gandura an und schob das Messer in die Kapuze. Ich sah meine Mutter, die sich in ihrer Ecke regte. Sie begriff, dass ihr Mann durchdrehte, aber sie wagte nicht, ihn zur Vernunft zu rufen. Geschichten dieser Art gingen die Frauen nichts an.
    Mein Vater trat in die Finsternis hinaus. Ich hörte seinen Schritt im Hof verhallen, gleich einem Gebet im Sturm. Die Tür zum Patio knarrte, bevor sie wieder zufiel, dann herrschte Stille … eine abgrundtiefe Stille, die mich bis zum Morgen in Bann hielt.
    Im Morgengrauen kam mein Vater auf Zehenspitzen zurück. Er zog die Gandura aus, warf sie zu Boden, steckte das Messer wieder in die Tasche und zog sich erneut in die Zimmerecke zurück, in der er seit jenem unseligen Donnerstag hockte. Er kauerte sich hin und rührte sich nicht mehr.
    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit in Djenane Djato. Bliss, der Makler, jubelte.

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