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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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auf.
    Die Dame war sichtlich angetan. Sie sah mir entgegen, als ich mit dem Sonnenschirm unter dem Arm auf sie zukam, und erhob sich, um mich zu begrüßen.
    »Vielen Dank!«, sagte sie.
    »Keine Ursache, Madame.«
    Ich kniete zu ihren Füßen nieder, erweiterte das Loch, in dem der Sonnenschirm gesteckt hatte, vertiefte es mit kräftigen Händen, pflanzte den Schaft wieder hinein und trat den Sand ringsum fest, so dass er beim nächsten Windstoß nicht mehr davonfliegen konnte.
    »Wirklich sehr freundlich von Ihnen, Monsieur Jonas«, bemerkte sie. »Pardon«, fügte sie hinzu, »ich habe gehört, wie Ihre Kameraden nach Ihnen gerufen haben.«
    Sie nahm die Sonnenbrille ab; ihre Augen waren die reinste Pracht.
    »Sind Sie aus Terga-Village?«
    »Nein,Madame, aus Río Salado.«
    Ihr intensiver Blick verwirrte mich. Ich sah, wie meine Kameraden mich beobachteten und verstohlen lachten. Sicher machten sie sich gerade mächtig über mich lustig. Ich verabschiedete mich schleunigst von der Dame und lief zu ihnen zurück.
    »Du bist ja knallrot!«, foppte mich Jean-Christophe.
    »Also bitte!!«, fauchte ich ihn an.
    Simon, der gerade aus dem Wasser gekommen war, rubbelte sich energisch mit einem Frotteetuch ab, wobei er vielsagend grinste. Er ließ mir die Zeit, in meinen Liegestuhl zu fallen, bevor er mich fragte:
    »Was wollte Madame Cazenave denn von dir?«
    »Du kennst sie?«
    »Und ob! Ihr Mann war Direktor eines Straflagers in Guyana. Angeblich ist er bei einer Verfolgungsjagd nach entflohenen Sträflingen im Wald verschwunden. Da er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie ist eine Freundin meiner Tante. Meine Tante glaubt allerdings, dass der Herr Direktor wohl eher dem Charme einer schönen Amazone mit prallem Hinterteil erlegen ist und sich dann diskret mit ihr abgesetzt hat.«
    »Deine Tante möchte ich aber nicht zur Freundin haben.«
    Simon brach in lautes Gelächter aus. Er warf mir sein Handtuch an den Kopf, trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust wie ein Gorilla und sauste schon wieder zum Meer zurück, wobei er einen furchtbaren Kampfschrei ausstieß.
    »Völlig verrückt«, seufzte Fabrice und stützte sich auf die Ellenbogen, um Simons clownesken Tauchsprung mit anzusehen.
    Andrés Freundinnen kamen gegen vierzehn Uhr an. Die jüngste war etwa vier oder fünf Jahre älter als der ältere der beiden Cousins. Sie begrüßten die Sosa-Jungen mit Wangenküsschen und ließen sich auf den Leinenstühlen nieder, die für sie bereitstanden. Djelloul, der Dienstbursche, kümmerte sich um denGrill; er hatte das Feuer angezündet und wedelte mit einem großen Fächer über der Glut, während sich eine weiße Rauchwolke über die umliegenden Dünen verteilte. José zog eine Kiste zwischen den Säcken, die um den Mittelpflock des Zelts angehäuft waren, hervor, entnahm ihr ganze Gebinde von Merguez-Würstchen und schickte sich an, sie auf dem Rost auszubreiten. Der Duft des verbrannten Fetts zog alsbald über den Strand.
    Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich aufgestanden und zu Andrés Zelt hinübergegangen bin. Vielleicht wollte ich nur die Aufmerksamkeit der Dame auf mich ziehen und noch einmal ihre wundervollen Augen sehen. Es war, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Als ich auf ihrer Höhe war, nahm sie die Sonnenbrille ab, und plötzlich war mir, als würde ich mich auf Treibsand bewegen.
    Ich sah sie ein paar Tage später auf der Hauptstraße von Río wieder. Sie kam gerade aus einem Geschäft, und ihr schönes Gesicht leuchtete im weißen Kranz ihres Hutes. Die Leute drehten sich nach ihr um, doch sie bemerkte sie gar nicht. Ihre Erscheinung war von raffinierter Eleganz, ihr Gang harmonierte mit dem Fluss der Zeit.
    Ich war wie hypnotisiert.
    Sie erinnerte mich an jene geheimnisvollen Heldinnen, die mit ihrem Charisma die Kinosäle füllten und so lebensecht wirkten, dass unsere Realität daneben verblasste.
    Ich saß mit Simon Benyamin im Terrassencafé am Platz. Sie ging an uns vorüber, ohne uns zu sehen, zum Trost blieb der Duft ihres Parfums zurück.
    »Nun mach mal halblang, Jonas!«, raunte Simon mir zu.
    »Was meinst du?«
    »In der Bar ist ein Spiegel. Da kannst du mal einen Blick auf deine rote Rübe werfen. Sag bloß, du hast dich in diese ehrbare Familienmutter verknallt?«
    »Was erzählst du denn da?«
    »Wasich sehe. Du stehst kurz vorm Herzinfarkt.«
    Simon übertrieb. Es war keine Liebe, es war bodenlose Bewunderung. Meine Gedanken

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