Die Schuld einer Mutter
abgibst. Er glaubt, es wäre besser, wenn eine Polizistin die Aufgabe übernimmt … Außerdem …«, sagt er und seufzt auf.
»Noch mehr?«
»Ja. Dein Mr Riverty war nicht einmal in der Nähe, als es passiert ist. Sorry, Joanne, aber er ist nicht unser Mann.«
Das Gefühl schwillt an, bis er spürt, dass er sich nicht mehr lange unter Kontrolle hat. Das ist das Schönste daran, der Moment kurz davor. Kurz davor.
Sie liegt da drüben, hat die glasigen Augen weit geöffnet. Sie sieht, ohne etwas zu sehen. Er würde sich ihr gern zeigen, aber das ist zu riskant. Später vielleicht.
In diesem Licht sieht ihre Haut noch blasser aus. Kein einziger Kratzer, kein blauer Fleck. An der Innenseite ihrer Schenkel hängt kein schlaffes Fleisch herunter. Keine silbrig weißen Streifen ziehen sich über ihren Bauch.
Stattdessen ragen zwei spitze Knochen rechts und links des Bauchnabels in die Höhe. Sie sehen aus wie Schulterblätter an der falschen Stelle, gar nicht wie Hüftknochen.
Sie spricht nicht.
Er legt sich neben sie. Das Baumwolllaken rutscht auf der Folie hin und her, und das kratzende, scharrende Geräusch zerreißt die Stille. Sie dreht den Kopf. Sie weiß, er ist hier, aber sie hat keine Angst. Sie will ihn. Sie öffnet die Lippen, aber nicht auf diese billige Art, die ihm so verhasst ist. Sie kommuniziert mit ihm. Könnte sie sprechen, würde sie ihn bitten, sich zu beeilen und endlich anzufangen.
Er legt Daumen und Zeigefinger locker aneinander und lässt seine Hand in der Luft über ihrem Bauch kreisen. Er hat ihr schon den BH ausgezogen, und wie er richtig vermutet hatte, hätte sie ihn eigentlich nicht gebraucht. Sie eifert nur ihren Freundinnen nach. Sie will dazugehören. Er wünschte, die Mädchen würden darauf verzichten. Zum Erwachsenwerden ist später noch Zeit genug. Anscheinend wollen sie es alle schnell hinter sich bringen; sie wissen gar nicht, wie falsch sie damit liegen.
Die Luft zwischen seiner Hand und ihrem Körper hat sich nun erwärmt. Eine Energieübertragung findet statt, eine Mischung aus ihnen beiden, hier an diesem Ort. Diesem heiligen Ort. Sie beide, vereinigt auf die reinste, unschuldigste Art.
Ihre Lippen flüstern ihm stumme Anweisungen zu, und es ist für ihn an der Zeit, sich auszuziehen. Mit – jetzt behandschuhten – Fingern spreizt er sanft ihre Beine und rückt mit der anderen Hand die Kamera auf dem Nachttisch in Position. Wie unbehaart sie ist. Erstaunlich.
Dann legt er sich auf sie und lässt sich von ihr entführen, so wie er es sich gewünscht hat.
23
E s ist kurz nach neunzehn Uhr, und ich sitze mit Joe am Küchentisch. Die Kinder sind oben. Sally telefoniert mit ihrer Klassenkameradin Kitty. Offenbar hat sie es jetzt dringend nötig zu reden und zu reden – aber nicht mit uns. Die Polizei hat sie heute Nachmittag noch einmal zu dem Mann befragt, den Lucinda angeblich kennengelernt hat, aber uns gegenüber hält sie sich mit Einzelheiten zurück. Sie tut so, als würde ich Druck auf sie ausüben. Sie sagt, sie hätte mir bereits alles erzählt, was sie weiß.
Die beiden Jungs spielen Minecraft. Offenbar sind sämtliche Kinder des Landes süchtig nach diesem Spiel, wobei ich den Grund dafür noch nicht begriffen habe. Mich plagt das schlechte Gewissen. Hin und wieder gehe ich Joe auf die Nerven damit, dass wir mehr mit den Kindern unternehmen sollten. »Wir sollten Brettspiele spielen oder essen gehen – nie verbringen wir Qualitätszeit mit den Kindern.«
Dann sagt er: »Nach einer halben Stunde Monopoly haben wir beide keine Lust mehr, außerdem haben wir keine achtzig Pfund übrig, um mit ihnen essen zu gehen. Und ich kann es dir nicht oft genug sagen: Die Kinder wollen keine Qualitätszeit .«
Er hat recht. Sie wollen nicht. Aber ich fühle mich jedes Mal furchtbar, wenn ich Supernanny schaue und sie sagt, dass Eltern heutzutage nicht mehr als vierzig Minuten mit ihren Kindern verbringen und das der einzige Grund für deren schlechtes Benehmen sei. »Die meisten Kinder haben kein Benehmen«, sagt Joe, »weil ihre Eltern Idioten sind. Wir geben unser Bestes, Lise. Lass es gut sein, okay?«
Joe ist kaputt. Er ist heute zwei Mal nach Lancaster gefahren, was an sich keine große Sache ist; aber am Nachmittag hat es plötzlich Eisregen gegeben, ein meteorologisches Ereignis, das ich noch nie zuvor erlebt hatte, und die Straßen verwandelten sich in einen Albtraum. Es ist spiegelglatt.
Als ich aus dem Tierheim kam, hatte ich schon gehofft, wir würden
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