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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
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eine kurze Auszeit vom Schnee erleben, denn alles war nassglänzend, frisch und rein. Aber als ich die scheinbar feuchte Treppe hinuntergehen wollte, merkte ich, dass der Regen augenblicklich gefroren war und die Nässe in Wahrheit glasklares Eis war.
    Auf dem Rückweg sah ich drei Autos im Straßengraben und zwei Unfälle. Ich hätte heulen können, als ich einen alten Mann entdeckte, der auf allen vieren aus seinem Haus gekrochen kam, weil er nicht aufrecht zu gehen wagte.
    Joe kam kurz nach Hause und fuhr sofort wieder los. Ein paar Freunde aus dem Pub hatten sich überlegt, das Flussufer nach Lucinda abzusuchen, ohne Kate und Guy davon zu erzählen. Er ist gerade erst wieder nach Hause gekommen.
    Er ist am Boden zerstört und sieht furchtbar aus. Tiefe Falten haben sich unter seine Augen eingegraben, sein linkes Augenlid hängt leicht, und sein Dreitagebart ist an manchen Stellen ergraut. Ist das über Nacht gekommen? Er scheint urplötzlich gealtert zu sein. Als hätte er sämtliche Farbpigmente an seinem vierzigsten Geburtstag aufgebraucht. Ich nehme ihn von hinten in den Arm und küsse ihn sanft in den Nacken. Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich eine tiefe Platzwunde an seinem Hinterkopf durch die Haare hindurchschimmern.
    »Wie ist das denn passiert?«, frage ich.
    »Beim Aussteigen aus dem Auto. Das verfickte Glatteis. Meine Beine sind einfach weggerutscht.«
    Ich schimpfe ihn für die Wortwahl nicht aus. Seltsamerweise stört es mich gar nicht, wenn er solche Begriffe in den Mund nimmt.
    Unnötig zu sagen, dass auch die heutige Suche erfolglos blieb. Joe trug seine Golfschuhe mit den Spikes, um sich auf dem Eis einigermaßen fortbewegen zu können, aber der Suchtrupp blieb nicht lange draußen. Einer der Männer verlor den Halt und rutschte gut dreißig Meter abwärts; an dem Punkt brachen sie die Suche ab und gingen nach Hause. Und nach allem, was ich gehört habe, hat die Polizei bei ihren Ermittlungen auch noch keine Fortschritte gemacht.
    Ich erzähle Joe von dem Mann, der Bluey gestohlen hat, und ich frage ihn, ob ich seiner Meinung nach die Polizei einschalten soll. Aber er reibt sich nur müde die Augen und sagt: »Ich glaube, die haben im Moment Besseres zu tun, als geklaute Hunde zu suchen. Außerdem hat Bluey jetzt ein neues Zuhause. Etwas anderes wolltest du doch nicht. Wahrscheinlich wollte der Typ sich nur um die Spende drücken – vielleicht kann er sie sich nicht leisten.«
    »Das ist es ja gerade«, sage ich. »Seine Kleidung sah wirklich ziemlich teuer aus, und er hat behauptet, Notar zu sein. Er hätte es sich ganz eindeutig leisten können zu spenden.«
    »Was für ein Auto fährt er?«
    »Habe ich nicht gesehen.«
    »Manche Leute sind einfach geizig, Baby. Man kann niemandem in den Kopf sehen. Ich würde die Sache einfach vergessen.«
    Er hat nicht die Nerven, sich noch mehr anzuhören, und ich nehme es ihm nicht übel. Er sieht zum Umfallen müde aus. Seine Haut ist so grau, als hätte man ihn gerade aus der Erde ausgegraben.
    Ich räume die Teller ab. Der von Joe ist voller grüner Strünke, weil er die Chilischoten abbeißt und sich ganz in den Mund schiebt. Ich suche unter seinem Stuhl nach heruntergefallenen Überresten, weil Ruthie, unser Kampfhund-Mischling, sie frisst und sich dann mit brennender Schnauze winselnd über den Fußboden rollt.
    »Vielleicht bleibt die Schule morgen geschlossen«, sagt Joe und schenkt sich ein Bier ein. »Die Straßen sind spiegelblank. Kein Mensch wird morgen Auto fahren können. Vielleicht sollten wir deinen Wagen demnächst für einen Land Rover in Zahlung geben? Das wäre viel sicherer …«
    »Schöne Vorstellung, aber wovon sollen wir das bezahlen? Und ich möchte keine alte Klapperkiste fahren, bloß weil wir uns keinen Neuwagen leisten können.« Dann füge ich halbherzig hinzu: »Wir könnten einen Kredit aufnehmen.«
    Joe schweigt. Momentan ist es um unsere Finanzen desaströs bestellt. Außer den beiden Autos besitzen wir so gut wie nichts. Wir haben keine Möglichkeit, uns in dieser Gegend jemals Wohneigentum anzuschaffen, und wenn uns die Genossenschaft, die den Einheimischen bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellt, dieses Haus nicht vermittelt hätte, könnten wir uns nicht einmal leisten, in der Stadt zu wohnen. Nicht hier, wo die Kaltmiete für eine Durchschnittswohnung auf fast zweitausend Pfund im Monat geklettert ist. Mein Kreditkartenlimit ist ausgeschöpft, seit ich die Weihnachtsgeschenke für die Kinder gekauft habe,

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