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Die Schuld einer Mutter

Die Schuld einer Mutter

Titel: Die Schuld einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Daly
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noch bei uns ist.
    Alexa klappt ihre Zeitschrift – Vanity Fair – zu, nimmt ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupft sich die Haut unter den Unterlidern ab. Ihre Wimpern sehen aus wie frisch getuscht, kein bisschen wie gestern Abend.
    »Wann hast du zum letzten Mal mit ihr gesprochen?«, fragt sie.
    »Gestern hatte ich Guy am Telefon, aber ich bin mir nicht sicher, wann …« Ich halte inne. Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal mit Kate gesprochen? Plötzlich weiß ich nicht mehr, welcher Tag heute ist.
    »Was ist heute für ein Tag?«, sage ich zu Alexa, und sie sieht mich an, als wäre ich verrückt geworden. »Ich habe die Orientierung verloren«, erkläre ich. »Es ist zu viel passiert.«
    »Donnerstag«, murmelt sie.
    »Entschuldige. Irgendwie gerät alles durcheinander.«
    Wir sitzen schweigend da, und Alexa streichelt Kates Hand. Ich beuge mich zu ihr hinüber und spreche mit gedämpfter Stimme. »Müssen wir ihr von Guy erzählen, wenn sie aufgewacht ist, oder hältst du es für besser, das Ganze gar nicht zu erwähnen?«
    Sie sieht mich streng an. »Was ist denn mit Guy? Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er geht nicht ans Telefon.«
    Ich reiße unwillkürlich die Augen auf. »Er wurde verhaftet«, flüstere ich. Ich lehne mich zurück, beiße mir auf die Lippe und frage mich, was ich davon halten soll. Warum hat er sie nicht längst angerufen? Warum hat er niemandem gesagt, wo er steckt?
    Alexa dreht sich zu mir um. »Du lieber Himmel«, sagt sie. »Verhaftet? Weswegen?«
    Ich zucke beschämt die Achseln. »Das weiß ich nicht genau.«
    Sie erwidert nichts darauf und starrt geradeaus, aber ich kann sehen, dass ihr Hirn auf Hochtouren arbeitet. Ihre Schläfe pulsiert, und die Ader an ihrer Stirn schwillt an, bis es so aussieht, als wäre ihr ein Regenwurm unter die Haut gekrochen. Nach einer Minute des angestrengten Schweigens schiebt sie ihren Stuhl zurück und steht auf.
    »Ich muss telefonieren. Würdest du bitte kurz bei Kate bleiben?«
    Ich nicke.
    »Geh bloß nicht weg«, sagt sie schroff.
    »Natürlich nicht.«
    Sichtlich geschockt greift Alexa zu ihrer Handtasche. »Ich werde mich beeilen«, sagt sie und hastet davon. Ihre Absätze klackern über den harten Linoleumboden, und ihr platter, formloser Muttihintern ist in der Designerjeans kaum zu sehen. Als sie endlich durch die Stationstür verschwunden ist, atme ich auf.
    Was für ein Chaos.
    Ich kann nicht ermessen, was in Alexa vorgehen muss.
    Deine Schwester versucht sich umzubringen, du kommst um vor Sorge und bist gleichzeitig unendlich erleichtert, dass sie es nicht geschafft hat. Du fragst dich, warum sie das getan hat.
    Wahrscheinlich war Alexa wie ich auch zu dem Schluss gekommen, Kate käme mit der Nachricht vom Verschwinden des dritten Mädchens nicht zurecht. Denn das bedeutet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Lucinda nicht mehr zurückkommen wird. Es haben sich schon Menschen aus geringerem Anlass umgebracht.
    Aber nun muss sie mit der Erkenntnis fertig werden, dass Kate sich womöglich umbringen wollte, weil sie eine Entdeckung gemacht hat, die Guy mit den entführten Mädchen in Verbindung bringt.
    Zum ersten Mal seit meiner Ankunft lasse ich den Blick durch die Station schweifen.
    Die Wände sind in einem hässlichen Lachston gestrichen, die Farbe von Putzmittel. Die Betten werden durch Vorhänge aus türkis gestreiftem Stoff voneinander getrennt, die bei Bedarf zugezogen werden können. Wahrscheinlich hat irgendein alter Knacker gedacht, der Stoff würde Frauen gefallen. Die Station erinnert mich an einen geschmacklos dekorierten Festsaal.
    Die Besucher der Frau im Nachbarbett verabschieden sich und versprechen, morgen noch mehr Zeitschriften und mehr Lucozade zu bringen. Für einen Moment sehne ich mich nach den Lucozadeflaschen von früher, die in ein Netz eingewickelt waren und aller Welt sofort klarmachten, dass man wirklich arm dran war.
    Weil außer Kate und den anderen Patientinnen nichts auf der Station mein Interesse erregt, greife ich zu Alexas Vanity Fair . Normalerweise nicht gerade die Zeitschrift, die ich kaufen würde, aber meine Gedanken rasen, und ich muss mich irgendwie ablenken. Nach einem kurzen Blick hinein beschließe ich, dass Vanity Fair Müll ist. Viel zu viel Text. Ich hätte jetzt lieber eine Now! oder das OK Magazine .
    Ich lese einen Artikel über eine gefeierte Schauspielerin, die auf den Bermudas lebt. Ich habe ihren Namen noch nie gehört, dabei ist sie eine

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