Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schuld wird nie vergehen

Die Schuld wird nie vergehen

Titel: Die Schuld wird nie vergehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip Margolin
Vom Netzwerk:
Kata absolviert hatte und sich langsam abkühlte. Er hatte seine Dehnübungen fast beendet, als er jemanden die Treppe zum Strand hinunterkommen sah. Die Sonne war mittlerweile über den Rand der Klippe gestiegen. Carl beschattete die Augen mit der Hand. Die Person war ein markanter, kräftiger Mann in T-Shirt und Shorts. Er trug sein schwarzes, graumeliertes Haar in einem militärischen Kurzhaarschnitt.
    »Ich habe Sie seit zwanzig Minuten beobachtet«, begrüßte ihn der Mann. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
    »Ich habe Sie gar nicht bemerkt«, antwortete Carl wahrheitsgemäß. Die Katas nahmen immer seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
    »Sie sind sehr gut«, meinte der Mann. »Wie lange lernen Sie das schon?«
    »Ich habe mit acht angefangen.«
    »Dann müssen Sie jetzt schon den schwarzen Gürtel haben.«
    Carl nickte verlegen. »Diese Gürtel haben nicht viel zu bedeuten.« Er wollte nicht, dass der Mann ihn für einen Angeber hielt. »Jeder kann einen schwarzen Gürtel erreichen, wenn er hart genug trainiert.«
    »Ich bin Morris Wingate, Vanessas Vater.« Der General reichte ihm die Hand.
    Carl musste sich zwingen, sie zu ergreifen. Die Gemütsruhe, die ihm seine Übungen geschenkt hatten, wich augenblicklich der Scham darüber, dass er mit Wingates Tochter in Wingates Haus geschlafen hatte. Und einer diffusen Furcht, weil Vanessa ihm erzählt hatte, ihr Vater sei ein kaltblütiger Mörder.
    »Und Sie sind ...?« fragte der General
    Carl schaffte es, dass seine Stimme nicht zitterte, als er Wingate seinen Namen nannte.
    »Sie sind ein Freund von Vanessa?«
    »Wir sind Klassenkameraden. Ich ... ich helfe ihr bei der Differentialrechnung.«
    »Wirklich? Ein Akademiker und hingebungsvoller Karateschüler. Nicht der übliche Männertyp meiner Tochter. Sie haben hier nach dem Unterricht übernachtet?«
    »Ja, Sir. Es war schon ziemlich spät.« Carls Magen brannte. Hatte Wingate einen Blick ins Gästezimmer geworfen und seine nackte Tochter sowie Carls unordentlich verstreute Kleidung gesehen?
    »Ich bin selbst ebenfalls erst gegen zwei Uhr heute früh nach Hause gekommen. Ich finde, dass ein wenig Bewegung den Kreislauf weit besser in Gang bringt als eine Tasse Kaffee. Haben Sie Lust, ein Stück mit mir zu laufen?«
    Carl konnte sich nicht gut weigern, also nickte er nur. Der ältere Mann schlug ein zügiges Tempo an, das Carl problemlos mithalten konnte. Der Strand schien sich endlos vor ihnen zu erstrecken, und Carl fragte sich, wie weit Wingate wohl laufen würde. Letztendlich spielte das keine Rolle. Weit vor ihnen hatte ein Baum mit einem dicken, knorrigen Stamm seine Wurzeln hoch oben in die blanke Felswand der Klippe gegraben. Er neigte sich gefährlich zum Meer hin, aber vermutlich trotzte er schon sehr lange der Schwerkraft. Carl fixierte seinen Blick auf den Baum und lief locker über den Sand.
    »Wie steht es denn um Vanessas Mathematikkenntnisse?« erkundigte sich der General schließlich, nachdem sie eine Weile schweigend gejoggt waren.
    Carl wusste nicht genau, ob Wingate seine Frage sarkastisch gemeint hatte, also antwortete er gerade heraus.
    »Sie hat eine sehr rasche Auffassungsgabe.« »Vanessa ist klug, aber sie konzentriert sich leider nicht ausreichend auf die Schule. Ich wünschte, ihre Noten würden ihren Intelligenzquotienten widerspiegeln.«
    Diese Vertraulichkeit war Carl unangenehm. Er hätte nicht gewollt, dass seine Mutter seine Unzulänglichkeiten mit seinen Freunden diskutierte.
    »Der Name Rice sagt mir nichts. Leben Sie hier in der Nähe, Carl?«
    »Nein.«
    »Wo dann?«
    »San Diego.« Carl beschloss, den Fragen des Generals zuvorzukommen. »Ich habe ein Stipendium.«
    »Das klingt, als wollten Sie sich entschuldigen.«
    »So meinte ich das nicht«, erwiderte Carl etwas zu schnell.
    »Gut. Dazu haben Sie auch keinen Grund. Es freut mich sehr, dass Vanessa einen Freund gefunden hat, der nicht alles im Leben auf einem Silbertablett serviert bekommt. St. Martins ist eine exzellente Schule. Vanessa würde sie sonst nicht besuchen, aber viele Schüler wurden von ihren Eltern einfach nur dort hinein gekauft. Carl, Sie sollten stolz darauf sein, dass Sie wegen Ihrer Leistungen dort aufgenommen worden sind.«
    Die Worte des Generals überraschten Carl. Das klang so gar nicht wie der Unmensch, den Vanessa ihm geschildert hatte.
    Wingate zog nach etwa einer Meile das Tempo an, aber Carl hatte keinerlei Schwierigkeiten mitzuhalten. Nach zwei Meilen blockierte ein steinerner

Weitere Kostenlose Bücher