Die Schuld
Monate in diesem Gefängnis gesessen - wegen eines Einbruchs, den er gar nicht begangen hatte. Dadurch verlor er nicht nur seine beiden Teilzeitjobs, sondern auch seine Wohnung, von seiner Würde ganz zu schweigen. Als er Clay zum letzten Mal anrief, bettelte er ihn mit flehenden Worten um Geld an. Er lebte auf der Straße, rauchte wieder Crack und war auf dem besten Weg, erneut mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
In dieser Stadt konnte praktisch jeder Strafverteidiger seine eigene Tigger-Banks-Story erzählen; auf ein Happyend wartete man bei diesen Geschichten vergebens. Daran war nichts zu ändern. Jeder Gefängnisinsasse kostete den Staat einundvierzigtausend Dollar pro Jahr. Warum war das System so scharf darauf, Geld zum Fenster rauszuwerfen?
Clay hatte es satt, sich mit diesen Fragen herumschlagen zu müssen. Er hatte die Nase voll von den Tigger Banks dieser Welt, von dem Gefängnis und den mürrischen Wärtern, die ihn am Kellereingang, der von den meisten Anwälten benutzt wurde, in Empfang nahmen. Er konnte den Gestank in dem Gefängnis nicht mehr ertragen und hatte die idiotischen Formalitäten satt, die aus irgendwelchen Bürokratenhandbüchern über die Sicherheit in Gefängnissen stammten.
Neun Uhr an einem Mittwoch. Eigentlich war das egal, da für Clay ohnehin ein Tag wie der andere war. Über einem Schiebefenster hing ein Schild mit der Aufschrift RECHTSANWÄLTE. Als die Justizangestellte befand, dass Clay lange genug gewartet hatte, schob sie das Fenster wortlos ein Stück nach oben. Da die beiden sich seit fast fünf Jahren immer nur mit einem finsteren Blick begrüßten, war jedes Wort überflüssig. Nachdem sich Clay in ein Register eingetragen und es zurückgegeben hatte, schloss sich das Fenster wieder. Zweifelsohne war es aus kugelsicherem Glas, damit die Justizangestellte nicht von durchdrehenden Anwälten attackiert wurde.
Zwei Jahre lang hatte sich Glenda damit abgemüht, ein einfaches Procedere durchzusetzen. Die Pflichtverteidiger und andere Kollegen sollten sich eine Stunde vor ihrem Eintreffen durch einen Anruf ankündigen, damit die Mandanten zeitig in die Nähe des für die Anwälte bestimmten Sprechzimmers gebracht werden konnten. Ein simpler, vernünftiger Vorschlag, der von den Bürokraten zweifellos deshalb abgelehnt worden war, weil er so simpel und vernünftig war.
An einer Wand standen ein paar Stühle, auf denen die Anwälte warten sollten, während ihre Bitte, mit ihrem Mandanten sprechen zu dürfen, im Schneckentempo an jemanden in den oberen Stockwerken weitergereicht wurde. Um neun Uhr morgens saßen hier immer ein paar von Clays Kollegen herum, die nervös in ihren Unterlagen blätterten, im Flüsterton Handygespräche führten und sich gegenseitig ignorierten. Zu Beginn seiner Laufbahn hatte Clay gelegentlich dicke juristische Wälzer mitgebracht und wichtige Passagen mit einem gelben Filzstift markiert, um den anderen Rechtsanwälten zu imponieren. Heute zog er stattdessen die Washington Post aus der Tasche, um den Sportteil zu studieren. Wie immer warf er vorher einen Blick auf die Uhr, um später zu wissen, wie viel Zeit er mit dem Warten auf Tequila Watson verplempert hatte.
Vierundzwanzig Minuten, stellte er schließlich fest. Gar nicht mal so übel.
Ein Wärter führte ihn durch einen Flur in einen länglichen Raum, der in der Mitte durch eine dicke Scheibe aus Plexiglas geteilt wurde. Der Wärter zeigte auf die vierte Kabine, und Clay setzte sich. Der Platz auf der anderen Seite der Scheibe war noch leer. Erneut musste er sich in Geduld üben. Er zog einige Papiere aus der Aktentasche und versuchte, sich ein paar Fragen für Tequila zurechtzulegen. In der Kabine rechts neben ihm war ein Kollege in ein geflüstertes, aber intensives Gespräch mit seinem Mandanten vertieft. Den Häftling konnte Clay nicht sehen.
Der Wärter kam zurück und sagte so leise, dass man fast auf die» Idee gekommen wäre, ein solches Gespräch sei gesetzwidrig: »Ihr Mandant hat eine schlechte Nacht hinter sich.« Er kauerte sich neben Clay nieder und blickte zu den Überwachungskameras auf.
»Aha«, sagte Clay.
»Um zwei Uhr hat er sich auf einen anderen Häftling gestürzt, ihn windelweich geschlagen und damit einen hübschen kleinen Aufruhr provoziert. Wir mussten sechs Leute schicken, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Er wurde, na ja, übel zugerichtet.«
»Tequila?«
»Ja, Tequila Watson. Der andere Kerl liegt auf der Krankenstation. Rechnen Sie damit, dass die
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