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Die Schuld

Titel: Die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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erzählen.«
    Talmadge X öffnete die Akte und blätterte darin herum. »Wahrscheinlich erinnert er sich an kaum was, weil er jahrelang permanent unter Drogen gestanden hat. Hier, ich hab's. Ein paar kleinere Delikte in der Jugend: Diebstahl, geklaute Autos, das Übliche. Haben wir alle gemacht, um an Geld für den Stoff zu kommen. Mit achtzehn hat er vier Monate wegen Ladendiebstahl gesessen. Letztes Jahr haben sie ihn wegen Drogenbesitz drangekriegt, dafür gab's drei Monate. Eigentlich gar keine schlechte Bilanz für einen von unserer Art. Gewalt war nie im Spiel.«
    »Wie viele schwere Verbrechen?«
    »Eingetragen ist keines.«
    »Das könnte hilfreich sein«, sagte Clay. »In gewisser Hinsicht.«
    »Hört sich für mich eher so an, als könnte ihm nichts mehr helfen.«
    »Mir wurde gesagt, es gibt mindestens zwei Augenzeugen. Optimistisch bin ich also nicht.«
    »Hat er vor den Bullen gestanden?«
    »Nein. Die haben mir erzählt, er hätte nach der Festnahme kein Sterbenswörtchen gesagt.«
    »Das kommt selten vor.«
    »Allerdings.«
    »Klingt nach lebenslänglich ohne Bewährung«, meinte Talmadge X. Hier sprach die Stimme der Erfahr ung.
    »Sie sagen es.«
    »Für uns ist das nicht der Weltuntergang, Mr Carter. Das Leben im Gefängnis ist in vielerlei Hinsicht besser als das auf der Straße. Ich kenne jede Menge Leute, die den Knast vorziehen. Traurig ist nur, dass Tequila einer der seltenen Fälle war, der es hätte schaffen können.«
    »Warum?«
    »Er hat Grips. Nachdem er erst mal clean und gesund war, hat er sich gut gefühlt. Zum ersten Mal seit etlichen Jahren war sein Kopf nicht vernebelt. Er konnte nicht lesen, also haben wir es ihm beigebracht. Er hat gern gemalt, und wir haben sein Talent gefördert. Wir machen uns keine Illusionen hier, aber auf Tequila waren wir stolz. Er hat sogar darüber nachgedacht, seinen Namen zu ändern. Sie können sich denken, warum.«
    »Sie machen sich keine Illusionen?«
    »Sechsundsechzig Prozent unserer Schützlinge werden rückfällig, Mr Carter. Zwei Drittel. Wenn wir sie hier aufnehmen, sind sie krank und zugedröhnt, das Crack hat ihren Körpern und Gehirnen bereits schwer zugesetzt. Sie sind unterernährt, fast verhungert. Sie haben Hautausschlag, die Haare fallen ihnen aus. Es sind die kränksten Schwerstabhängigen, die eine Stadt wie Washington produziert. Wir entziehen ihnen das Gift, päppeln sie wieder auf, sperren sie ein und verordnen ihnen die erwähnte Grundausbildung. Wie bei der Army stehen sie um sechs Uhr morgens auf, schrubben ihre Zimmer und warten die Inspektion ab. Um halb sieben gibt's Frühstück, dann werden sie einer Non-Stop-Gehirnwäsche unterzogen. Unsere Leute hier kennen keinen Spaß. Sie haben früher dasselbe durchgemacht wie ihre Schützlinge. Kein Scheiß, Mr Carter - verzeihen Sie den Ausdruck -, aber sie haben keine Chance, uns zu betrügen, weil wir selbst Betrüger waren. Nach einem Monat sind sie clean und sehr stolz auf sich. Die Außenwelt vermissen sie schon aus dem Grund nicht, weil dort sowieso nichts Erfreuliches auf sie wartet: kein Job, keine Familie, niemand, der sie liebt. Gehirnwäsche ist bei ihnen einfach, und wir ziehen die Sache erbarmungslos durch. Nach drei Monaten gestatten wir ihnen unter Umständen ein bis zwei Stunden Ausgang pro Tag, aber das hängt vom Einzelfall ab. Neun von zehn Leuten kommen zurück und können es gar nicht abwarten, endlich wieder in ihren kleinen Zimmern zu sein. Ein Jahr lang behalten wir sie hier, Mr Carter, volle zwölf Monate. Wir versuchen, ihnen was beizubringen, zum Beispiel, wie man mit einem Computer umgeht. Sachen, die ihnen später mal bei einem Job nützlich sein könnten. Und wir geben uns jede nur erdenkliche Mühe, um Jobs für sie zu finden. Wenn sie sich gut entwickeln, verdrücken wir ein paar Freudentränen. Dann verlassen sie uns, und innerhalb eines Jahres sind zwei Drittel von ihnen wieder auf Crack und auf dem Weg in die Gosse.«
    »Nehmen Sie sie ein zweites Mal auf?«
    »Selten. Wenn sie wissen, dass ihnen unsere Tür noch mal offen steht, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie wieder Mist bauen.«
    »Was passiert mit dem anderen Drittel?«
    »Wegen denen sind wir hier, Mr Carter. Deshalb bin ich Betreuer. Sie überleben in der Welt da draußen, genau wie ich, und haben eine Widerstandskraft, die niemand sonst verstehen kann. Wir sind aus der Hölle zurückgekommen, und das ist ein verdammt beschwerlicher Weg. Viele von denen, die es geschafft

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