Die Schuld
hoch.
»Du siehst fürchterlich aus«, sagte Rebecca mit feuchten Augen.
»Danke. Dafür bist du umso schöner.«
Sie küsste ihn erneut auf die gleiche Stelle und strich über seinen linken Arm. Für einen Augenblick schwiegen beide.
»Darf ich dich was fragen?«, begann Clay.
»Natürlich.«
»Wo ist dein Mann im Augenblick?«
»Entweder in São Paulo oder in Hongkong. Ich hab den Überblick verloren.«
»Weiß er, dass du hier bist?«
»Natürlich nicht.«
»Wie würde er reagieren, wenn er davon wüsste?«
»Er wäre sauer. Wir würden bestimmt deswegen streiten.«
»Wäre das ungewöhnlich?«
»Leider passiert das ständig. Es funktioniert einfach nicht, Clay. Ich will da raus.«
Trotz seiner Verletzungen hatte Clay einen großartigen Tag. Ein Vermögen und Rebecca in Reichweite! Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich leise. Ridley kam herein und stellte sich unbemerkt ans Fußende seines Bettes. »Tut mir Leid, wenn ich störe«, sagte sie.
»Hallo, Ridley«, erwiderte Clay mit schwacher Stimme.
Die beiden Frauen warfen einander giftige Blicke zu. Ridley ging zur einen Seite des Bettes, während Rebecca auf der anderen ihre Hand demonstrativ auf Clays zerschundenem Arm liegen ließ. »Rid ley, das ist Rebecca. Rebecca, das ist Ridley«, stellte Clay die beiden vor. Am liebsten hätte er sich die Decke über den Kopf gezogen und sich tot gestellt.
Keine der beiden lächelte. Ridley streckte ihre Hand ein paar Zentimeter aus und begann, sanft Clays rechten Arm zu streicheln. Obwohl er von zwei schönen Frauen verwöhnt wurde, fühlte er sich wie ein verwundetes Tier, das in der Ferne die Wölfe heulen hört.
Da niemand etwas zu sagen hatte, deutete Clay mit dem Kopf nach links und erklärte: »Rebecca ist eine alte Freundin.« Dann wies er nach rechts: »Ridley ist eine neue Freundin.« Dabei waren beide Frauen zumindest in diesem Augenblick davon überzeugt, dass sie für Clay viel mehr waren als nur »eine Freundin«. Keine wich auch nur einen Zentimeter von der Stelle. Die Positionen waren abgesteckt.
»Ich glaube, wir waren auf Ihrer Hochzeit«, sagte Ridley schließlich, ein wenig subtiler Hinweis darauf, dass Rebecca verheiratet war.
»Obwohl Sie nicht eingeladen waren, wenn ich mich recht erinnere«, konterte Rebecca.
»O verflixt, Zeit für meinen Einlauf«, witzelte Clay, aber außer ihm lachte niemand. Wenn sich die beiden über seinem Bett prügelten, würde ihm das den Rest geben. Noch vor fünf Minuten hatte er mit Oscar Mulrooney telefoniert und von Rekordhonoraren geträumt. Jetzt schärfen die beiden Frauen hier ihre Krallen.
Zumindest waren es zwei außergewöhnlich schöne Frauen. Es hätte auch schlimmer kommen können, sagte er sich. Wo blieben die Krankenschwestern? Sonst kamen sie ständig hereingerannt, ohne sich um seine Privatsphäre oder seine Schlafgewohnheiten zu kümmern, manchmal gleich zu zweit. Wenn er Besuch hatte, konnte er sicher sein, dass eine Schwester ohne ersichtlichen Grund bei ihm vorbeischaute. »Können wir etwas für Sie tun, Mr Carter?«
»Sollen wir Ihr Bett verstellen?«
»… den Fernseher einschalten?«
»… oder ausschalten?«
Doch jetzt blieb es in den Gängen still, während ihn die beiden Frauen befummelten.
Rebecca zeigte zuerst Schwäche. Ihr blieb keine Wahl, schließlich war sie immer noch verheiratet. »Ich gehe wohl besser.« Sie verließ den Raum langsam und widerwillig, als wollte sie ihr Terrain nicht aufgeben. Clay fand das faszinierend.
Kaum schloss sich die Tür hinter ihr, da zog sich Ridley ans Fenster zurück, wo sie lange stehen blieb und ins Leere starrte. Clay, dem sie und ihre Launen herzlich gleichgültig waren, las unterdessen Zeitung. Dass sie ihm so demonstrativ die kalte Schulter zeigte, kam ihm sehr entgegen.
»Du liebst sie, stimmt's?« Ridley, die immer noch aus dem Fenster sah, gab sich große Mühe, verletzt zu wirken.
»Wen?«
»Rebecca.«
»Ach die. Nein, sie ist nur eine alte Freundin.«
Sie fuhr herum und trat zu seinem Bett. »Ich bin nicht blöd, Clay!«
»Das hab ich auch nicht gesagt.« Unbeeindruckt von ihrer Schauspielerei las er weiter Zeitung. Sie griff nach ihrer Handtasche und stürzte mit laut klappernden Absätzen aus dem Zimmer. Kurz danach kam eine Krankenschwester herein, um zu sehen, ob er Schaden genommen hatte.
Wenige Minuten später rief Oscar Mulrooney ihn vom Handy aus dem Gericht an. Der Richter hatte eine kurze Sitzungspause angeordnet. »Es heißt, Mooneyham habe
Weitere Kostenlose Bücher