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Die Schuld

Titel: Die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Zeitplan. Für einen Rückzieher hatten sie sich genügend Spielraum gelassen, wenngleich es nicht ohne Schrammen abgehen würde. Nach vier Jahren, in denen keiner der beiden eine Affäre gehabt hatte, in denen sie sich permanent gegenseitig ihrer Liebe versichert und mindestens fünfmal in der Woche miteinander geschlafen hatten, schien alles auf eine dauerhafte Beziehung hinauszulaufen.
    Dennoch war Rebecca nicht bereit, endlich mit der Wahrheit herauszurücken - dass sie sich einen Ehemann und eine Familie wünschte, an einer beruflichen Karriere aber vielleicht gar kein Interesse mehr hatte. Noch immer konkurrierten sie miteinander und versuchten, die eigene Bedeutung zu unterstreichen. Sie konnte sich einfach nicht eingestehen, dass sie sich von einem Ehemann den Lebensunterhalt finanzieren lassen wollte.
    »Mir ist es egal, wie du dich entscheidest, Clay«, sagte sie. »Es ist nur ein Job, kein Kabinettsposten. Wenn du Nein sagen willst, tust du es eben.«
    »Danke.« Plötzlich fühlte er sich wie ein Trottel. Was, wenn Bennett ihm wirklich nur zu helfen versuchte? Er mochte ihre Eltern so wenig, dass er sich immer über sie ärgerte. Aber war das nicht sein Problem? Sie hatten ein Recht, sich über den zukünftigen Mann ihrer Tochter Gedanken zu machen, den Vater ihrer Enkel.
    Widerstrebend musste Clay einräumen, dass sich eigentlich jeder Gedanken machen musste, der mit ihm als künftigem Schwiegersohn zu rechnen hatte.
    »Ich würde gern gehen«, sagte Rebecca.
    »Natürlich.«
    Als sie den Country Club verließen, ging Clay einen Schritt hinter Rebecca. Fast hätte er gesagt, er habe noch Zeit, um auf eine schnelle Nummer mit zu ihr zu kommen. Aber angesichts ihrer Stimmung und des Verlaufs des Abends könnte sie womöglich Gefallen an einer barschen Zurückweisung finden. Dann würde er sich als zur Kontrolle seiner Triebe unfähiger Narr vorkommen, der er in solchen Situationen ja auch war. Also biss er in den sauren Apfel und verkniff sich den Vorschlag.
    Während er Rebecca die Tür ihres BMW aufhielt, fragte sie: »Hättest du nicht Lust, noch für ein paar Minuten zu mir zu kommen?«
    Clay rannte zu seinem Wagen.
6
    I n Rodneys Begleitung fühlte Clay sich in der Lamont Street etwas sicherer. Außerdem waren die gefährlichen Zeitgenossen um neun Uhr morgens noch nicht auf der Straße. Was immer sie in der vergangenen Nacht an legalen oder illegalen Drogen konsumiert haben mochten, jetzt schliefen sie ihren Rausch aus. Die Läden öffneten allmählich. Clay parkte in der Nähe der Seitengasse.
    Rodney war ein ehrgeiziger Anwaltsassistent beim OPD. Er studierte seit zehn Jahren - mit diversen Unterbrechungen - in Abendkursen Jura und sprach immer noch davon, eines Tages seinen Abschluss zu machen. Da er vier Kinder hatte, waren Geld und Zeit gleichermaßen knapp. Weil Rodney selbst in den Straßen von Washington aufgewachsen war, kannte er sich hier bestens aus. Folglich wurde er praktisch täglich von einem - in der Regel weißen, verängstigten und unerfahrenen - OPD-Anwalt gebeten, ihn in gefährliche Gegenden der Stadt zu begleiten, um irgendein abscheuliches Verbrechen zu untersuchen. Da er Anwaltsassistent und kein Untersuchungsbeamter war, entsprach er höchstens jeder zweiten Bitte.
    Bei Clay hatte er noch nie Nein gesagt, und die beiden hatten schon bei vielen Fällen zusammengearbeitet. Sie untersuchten die Stelle in der Straße, wo Ramón Pumphrey ermordet worden war. Dann nahmen sie die Umgebung des Tatorts in Augenschein. Sie wussten, dass die Polizei mehrfach hier gewesen war. Trotzdem verschossen sie einen ganzen Film und schickten sich dann an, nach Zeugen zu suchen.
    Sie fanden keine, was nicht weiter überraschend war. Nach einer Viertelstunde hatte sich herumgesprochen, dass zwei Fremde vor Ort waren und sich mit dem jüngsten Mord in der Gegend befassten. Alle verriegelten ihre Türen und blieben stumm. Die beiden Augenzeugen, die zur Tatzeit wie jeden Tag Wein trinkend vor dem Spirituosenladen gesessen hatten, waren längst verschwunden, und natürlich hatte sie niemand gekannt. Die Ladenbesitzer schienen überrascht zu sein, dass es überhaupt eine Schießerei gegeben hatte. »Bei uns, in dieser Gegend?«, fragte einer, als wäre die Welt des Verbrechens bisher noch nicht in das Viertel vorgedrungen.
    Nach einer Stunde setzten sie sich ins Auto, um zum Deliverance Camp zu fahren. Clay saß am Steuer, Rodney trank kalten Kaffee aus einem kleinen Pappbecher. Seine Miene verriet,

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