Die Schuldlosen (German Edition)
gesprochen hätte. Dass Lothar ein Riesenproblem mit seinem Gewissen hatte, war Frau Brand schon vor Prozessbeginn aufgefallen. Deshalb hat sie ihn ja so schnell aus dem Zeugenstand entlassen.»
«Okay», sagte Silvie und atmete tief durch. «Okay. Das muss ich jetzt erst mal sackenlassen. Aber es ändert nichts zwischen uns. Du warst damals mein Freund und bist es heute noch. Und wenn du jemanden zum Reden oder Zuhören brauchst, ich bin von morgens bis nachmittags allein.»
«Mit deinem Hasemann.»
Sie glaubte, schon wieder eine Spur von Humor zu hören, und lächelte ihn an. «Ja, aber der petzt nicht. Du darfst dich hier nicht einigeln, Alex. Damit hilfst du keinem.»
Sie wandte sich zum Gehen, hatte fast vergessen, warum sie ursprünglich gekommen war. Es fiel ihr erst wieder ein, als sie die Haustür schon geöffnet hatte. Sie drehte sich noch einmal um. Er stand in der Küchentür, schaute sie mit seinem verweinten Gesicht abwartend an und sah so rührend schutzbedürftig aus, dass sie ihn liebend gerne in die Arme genommen hätte.
«Ist noch was?», wollte er wissen.
«Ja, aber das ist nicht so wichtig.» Es war ihr unangenehm, ihr ursprüngliches Anliegen jetzt noch zur Sprache zu bringen. Angesichts dessen, was auf ihm lastete, erschien es ihr nichtig und bedeutungslos.
«Raus mit der Sprache», verlangte er.
«Weißt du wirklich nicht, wer der Typ war, mit dem Lothar am Dienstag über Discoschnecken gesprochen hat?»
Er lachte leise. «Beschäftigt dich das etwa immer noch? Du lässt auch nie locker, was? Sicher weiß ich das. Ich konnte es dir nur nicht sofort sagen, weil ich dann eine Beichte wegen des Autos hätte ablegen müssen. Es war kein Typ, er hat’s Heike erzählt. Morgens um halb sechs, während ich darauf wartete, dass er endlich in die Bahn stieg, damit ich losdüsen konnte.»
«Heike?» Silvie schüttelte sich, als liefe ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Erneut hob sie die Stimme an. «Wieso protzt er ausgerechnet bei ihr damit? Fehlt sie ihm noch in seiner Sammlung? Hast du ihm mal erzählt, sie wäre ein heißer Feger?»
«Wahrscheinlich mehr als einmal», erklärte Alex. «Aber er hat bei ihr nicht geprotzt. Er hat sich darüber aufgeregt, dass du ihn am Montagabend angerufen und der Eifersucht bezichtigt hattest. Er meinte, er hätte nie einen Grund gehabt, auf mich eifersüchtig zu sein, weil er alle bekommen hat, am Ende sogar den Hauptgewinn, dich.»
«Ach so», murmelte Silvie und fragte etwas lauter: «Und – hatte er wirklich alle?»
«Nein», versicherte er. «Nicht mal alle Discoschnecken. Es waren einige dabei, die keinen Tröster brauchten. Und Janice hätte er nicht mal angefasst, wenn sie die allerletzte Frau auf Erden gewesen wäre. Das kannst du mir glauben. Ich weiß nicht mehr, wie oft er mich vor ihr gewarnt und aufgezählt hat, was ich mir bei ihr alles holen könnte. Syphilis, Gonorrhö, Aids und Ungeziefer. Sackratten und Filzläuse, sagte er immer. Und wir waren beide überzeugt, das wären zwei verschiedene Spezies.» Er lächelte. «Beruhigt?»
Silvie nickte und ging endlich, klaubte ihren Autoschlüssel unter dem Beifahrersitz hervor und setzte sich hinters Steuer, fuhr aber nicht gleich los. Sie war enttäuscht, verletzt, verunsichert, fand nicht den passenden Ausdruck für das Gefühlschaos, das Alex mit seiner Offenheit in ihr angerichtet hatte.
Auf jeden Fall war sie stinksauer auf ihren Mann. Dass er Alex damals bei Janice im Wasser erwischt und es Heike erzählt, sie dagegen nicht für würdig befunden hatte, ebenfalls eingeweiht zu werden, nicht einmal nach der Verurteilung, betrachtete sie als Unverschämtheit und einen Vertrauensbruch, der seinesgleichen suchte.
Am schlimmsten empfand sie noch, wie Lothar sich nach der Festnahme darüber aufgeregt hatte, dass Heike seinen besten Freund mit ihrer Aussage dermaßen in die Scheiße ritt. Genauso hatte er das ausgedrückt. «Warum konnte sie nicht ihre Schnauze halten? Was hat sie davon, ihn dermaßen in die Scheiße zu reiten? Steht sie ohne ihn etwa besser da?»
Und mit keiner Silbe hatte Lothar jemals auch nur angedeutet, dass zuvor er die Schnauze aufgerissen, dass Heike ihn aber nicht in die Scheiße geritten hatte. Der Staatsanwalt hätte sich über einen Augenzeugen garantiert mehr gefreut als über eine Frau, die verschämt eingestand, nasse Kleidungsstücke und Schuhe in irgendwelchen Müllcontainern entsorgt zu haben, nachdem der sturzbetrunkene Lebensgefährte sie
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