Die Schuldlosen (German Edition)
mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und ihr das Ersäufen einer rolligen Katze gestanden hatte. Es war unfassbar und musste erst mal der Reihe nach verarbeitet werden.
Sie ließ den Motor an, wendete und fuhr langsam zurück, im Schritttempo auf Webers Garten und das Heckler-Haus zu, den Blick unwillkürlich nach links zur Greve gerichtet. Vom Wasser sah sie so gut wie nichts. Das Flüsschen versteckte sich hinter der Bepflanzung in den Gärten, nur an zwei, drei Stellen glitzerte etwas in der tiefstehenden Sonne.
Bei Nacht hätte man vom Wasser überhaupt nichts gesehen. Aber wenn der Astra, den Alex damals gefahren hatte, verlassen am Straßenrand oder mitten auf der Straße gestanden hätte, hätte Lothar verständlicherweise nachgeschaut, wo Alex war. Vorerst ging Silvie noch davon aus, Alex sei gefahren und Lothar ihm zu Fuß gefolgt, weil er sich entgegen seiner Aussage vor Gericht eben doch Sorgen gemacht hatte. Dass es anders gewesen war, erfuhr sie erst, als sie ihren Mann zur Rede stellte.
Lothar hatte sich die Zeit mit David am Laptop vertrieben. Fotos hatten sie angeschaut, damit Prinz Knatschsack seine Mama wenigstens auf dem Bildschirm sah, wenn er ihr schon nicht auf der Pelle hängen oder hinter ihr herkrabbeln konnte.
Mann und Sohn reagierten gleichermaßen erleichtert und erfreut auf ihre Rückkehr. «Mama», brabbelte der eine und wand sich auf Papas Schoß. «Da bist du ja endlich», seufzte Lothar. «Warum hat das denn so lange gedauert?»
«Jetzt stelle erst mal ich ein paar Fragen», erwiderte Silvie, nahm ihm den Jungen ab und legte los im Plauderton einer Märchentante. Darin war sie unnachahmlich gut. Gestritten wurde niemals so, dass David sich hätte erschrecken oder fürchten können. Trotzdem kam aufs Tapet, was gesagt werden musste. Silvie sparte dabei nicht einmal mit Schimpfworten.
Völlig überraschend kam es für Lothar nicht. Dass Alex sich mit den tatsächlichen Ereignissen jener Nacht verplapperte, sobald jemand Druck ausübte, war zu erwarten gewesen. Damals hatte er es auch nicht lange geschafft, die erste Fassung beizubehalten. Hundertmal hatten Lothar und Heike ihm zwei Sätze vorgekaut. «Nach dem Vorfall im Männerklo erinnere ich mich an gar nichts. Ich weiß nur, dass ich morgens in meinem Bett aufgewacht bin.»
Damit wäre er vermutlich ein freier Mann geblieben. Wie hätten Polizei und Staatsanwalt ihm ohne verwertbare Spuren beweisen sollen, dass er von der Linde aus nicht geradewegs nach Grevingen gefahren und zu Heike ins Bett gekrochen war? Den Astra hatte Lothar noch in der Nacht in der Garage seiner Eltern so gründlich gereinigt, dass die Spurensicherung kein noch so winziges Härchen darin zum Vorschein gebracht hatte.
Was natürlich äußerst verdächtig gewesen war, aber auch einfach zu erklären. Das hatte Heike übernommen. Mit dem Astra wurden schließlich jeden Tag die Brötchen abgeholt, da war penible Sauberkeit unerlässlich.
Lothar brauchte nicht lange, um sich zu fassen und Silvie mit den richtigen Argumenten in die Defensive zu drängen. Sein Schweigen ihr gegenüber rechtfertigte er mit der Gegenfrage: «Wie lange hätte es wohl gedauert, bis du deine Großeltern ins Vertrauen gezogen hättest? Du kannst deinen Mund doch gar nicht halten. Heike hat das immerhin zwei Wochen lang geschafft und hätte vermutlich für alle Zeiten durchgehalten, weil sie Alex nicht verlieren wollte. Aber plötzlich ging es um ihre eigene Haut.»
«Wieso das denn?», fragte Silvie. Die Bemerkung über ihre Redseligkeit überging sie großzügig, völlig unrecht hatte Lothar damit ja nicht. Mit Oma und Opa hätte sie vielleicht wirklich gesprochen.
«Du hast es im Prozess doch selbst gehört», erinnerte Lothar sie. «Hast du vergessen, wie seine Rechtsanwältin die Theorie von einer Täterin vortrug? Damit hatte sie den ermittelnden Beamten vorher schon in den Ohren gelegen. Und Alex hatte gleich bei der ersten Befragung durch die Polizei verlauten lassen, Heike habe befürchtet, er könne wieder mit Janice herummachen, weil er so oft bei seiner Mutter war. Deshalb hätte Heike sogar schon die Laube kontrolliert. Was lag für die Polizei also näher, als sich mit Heike zu befassen? Sie war zur fraglichen Zeit mit einem schlafenden Baby alleine in ihrer Wohnung gewesen. Mit anderen Worten, sie hatte kein Alibi. Ihr blieb nichts anders übrig, als zu sagen, was sie wusste.»
«Verstehe ich», sagte Silvie. «Aber das meiste wusste sie doch wohl von dir.
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