Die Schuldlosen (German Edition)
danach im Laden halfen, die sich den Vormittag über um den großen Haushalt kümmerten.
Martha stutzte bei seinem Anblick, runzelte unwillig die Stirn, wandte sich der Verbindungstür zu und rief: «Komm mal, Gerhild. Hier ist Kundschaft für dich.»
Als Gerhild die Tür aufschob, überlegte die junge Frau gerade, ob sie auch eine Buttercremetorte nehmen sollte. Und entgegen ihrer normalerweise sehr geschäftstüchtigen Art sagte Martha: «Das wird zu viel, Frau Dennert. Ich schlage vor, dass wir eine bunte Platte zusammenstellen, da können wir ja zwei oder drei Stücke Buttercreme zutun.»
Gerhild blieb in der Tür stehen, starrte ihn feindselig an und machte Frau Dennert so darauf aufmerksam, dass hier etwas nicht so war, wie es sein sollte.
«Ich wollte nur kurz fragen, wo Saskia ist und wie es ihr geht», sagte er, um das Drama abzukürzen. «Ich hoffe, sie ist nicht krank geworden.»
«Nein», sagte Gerhild.
«Das wären dann zwei Obstböden, eine Aprikosen- und eine Reistorte und eine bunte Platte», fasste Martha zusammen. «Darf es sonst noch was sein, Frau Dennert?»
«Ein Kürbiskernbrot», verlangte die. «Das nehme ich aber jetzt mit. Wenn Sie es bitte aufschneiden könnten.»
«Aber sicher», sagte Martha, nahm das gewünschte Brot aus dem Regal und legte es in die Schneidemaschine.
Gerhild winkte ihn durch in die Küche, schob die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Sie saßen tatsächlich alle um den Tisch herum, wie er sich das vorgestellt hatte. Wolfgang und der alte Jentsch zuckten kurz zusammen, als er hereinkam. Sie schienen sich beide unwohl zu fühlen und erhoben sich wie auf ein geheimes Kommando. Der Geselle und der Lehrling folgten dem Beispiel, die beiden Aushilfen schlossen sich an. Binnen weniger Minuten war er mit Gerhild allein. Und bis dahin hatte keiner ein Wort gesagt.
Gerhild bot ihm weder einen Stuhl noch einen Kaffee an. «Wir haben ihr den weiteren Umgang mit dir verboten», begann sie. «Und wir hoffen, dass du uns keine Schwierigkeiten und ihr das Herz nicht unnötig schwermachst.»
«Aber», stammelte er, «sie sagte doch am Montag, Heike hätte nichts dagegen, und gestern war …» Weiter kam er nicht.
«Heike hat sich das gestern noch mal überlegt», schnitt Gerhild ihm das Wort ab.
«Warum?»
«Das musst du dich selber fragen», sagte Gerhild. «Ich kann dir nur sagen, halte dich von Saskia fern. Wenn du das nicht freiwillig tust, wir können auch anders.»
Damit schlug auch er einen anderen Ton an. «Du kannst mir überhaupt nichts», fauchte er. «Saskia will den Umgang mit mir. Und Bernd Leunen sagte …»
«Bernd Leunen hat am Amtsgericht nichts zu melden», erklärte Gerhild. «Ob Heike einen richterlichen Beschluss erwirken muss, liegt ganz bei dir. Aber wenn Saskia dir wirklich etwas bedeutet, treibst du es nicht auf die Spitze.»
«Wohin soll ich es denn sonst treiben?», fragte er. «Ihr sagt mal Hü und mal Hott. Und keiner erklärt mir, warum. Das lasse ich nicht mit mir machen und auch nicht mit meiner Tochter. Saskia ist doch kein Jo-Jo.»
Darauf bekam er keine Antwort mehr und drehte sich schließlich um. Im Laden war Martha immer noch mit Frau Dennert beschäftigt, die ihm neugierig nachschaute.
Er lief auf direktem Weg nach Hause, über den Friedhof zur Lambertusstraße. Als er in die Breitegasse einbog, wurde er schneller. Er spürte, dass er die Tränen nicht mehr lange zurückhalten konnte, und wollte nicht heulend am Heckler-Haus vorbeilaufen. Obwohl er dort bisher noch keine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatte, war er sicher, dass er jedes Mal gesehen wurde, wenn er vorbeikam. Die letzten hundert Meter rannte er, obwohl nicht mehr die Gefahr bestand, dass ihm jemand begegnete.
Im Haus lief er weiter, durch die Diele ins Fernsehzimmer, vom Kaminzimmer in die Küche, die Treppe rauf, die Treppe runter. Er heulte Rotz und Wasser, schlug wieder und wieder mit einer Faust gegen Wände und Türrahmen.
Es war schlimmer als am Freitag, viel schlimmer als nach dem Besuch von Bernd Leunen. Da waren nur Ohnmacht und Verzweiflung aus ihm herausgeflossen, jetzt kamen Unverständnis und Wut dazu – grenzenlose Wut. Weil er sich zwischenzeitlich so große Hoffnungen hatte machen dürfen. Weil er nicht begriff, warum Heike ihre Meinung einfach wieder geändert hatte. Weil er diese Willkür nicht hinnehmen wollte und nicht wusste, was er dagegen unternehmen konnte.
Das musst du dich selber fragen.
Aus seiner Sicht war
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