Die Schuldlosen (German Edition)
schieben wollte, und erkundigte sich: «Warum hast du dir nicht ebenfalls einen Anwalt genommen?»
«Glaubst du, Albert hätte mir auch so eine Koryphäe bezahlt?», fragte Heike. «Frau Brand konnte uns nicht beide vertreten. Ihr Mann ist ebenfalls Strafverteidiger, ich hab sie gefragt, was es kostet, wenn ich ihn engagiere. Sie reagierte sehr merkwürdig.»
«Kann ich verstehen», sagte Silvie. «Ich würde auch komisch reagieren, wenn ich mir sicher wäre, dass mein Mandant unschuldig ist und der oder die wahre Schuldige sich von meinem Mann vertreten lassen will.»
Heike lachte ungläubig. «Du glaubst doch nicht wirklich, ich wäre das gewesen? Ich hab in der Nacht geschlafen, verdammt! Fest geschlafen, bis die zwei zur Tür hereingestolpert kamen. Genauso gut könnte ich dich verdächtigen. Janice hat in der Linde herumgetönt, du würdest ihr den Schädel einschlagen, wenn du dahinterkämst, dass sie Lothar noch mal den Unterschied zwischen lauwarmem Kuschelsex und …»
«Lothar hat nie was mit ihr gehabt», schnitt Silvie ihr das Wort ab. «Und ich hatte Nachtdienst, war ziemlich beschäftigt. Um zehn ist einer aus dem Bett gefallen und wollte danach im Aufenthaltsraum übernachten. Um halb zwölf musste ich den Notarzt zu einem Atemstillstand rufen. Aber was ich glaube, spielt überhaupt keine Rolle. Ich weiß, dass Alex es nicht war, das zählt. Du hattest ein Motiv und warst am Tatort …»
«Das habt ihr euch fein ausgedacht.» Heike wurde nicht einmal laut. «Will er ein Wiederaufnahmeverfahren? Vielleicht noch eine Haftentschädigung? Weiß Lothar, was ihr zwei ausgeheckt habt? Nicht mit mir, Leute! Nicht mit mir! Raus hier, aber fix.»
«Ich hab noch nicht bezahlt», sagte Silvie.
«Ich setze es Lothar auf die Rechnung, wenn der das nächste Mal kommt», erklärte Heike und machte Anstalten, hinter dem Verkaufstresen vorzukommen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Darauf ließ Silvie es lieber nicht ankommen.
Nachdem der dunkelgrüne Passat wieder abgefahren war, überlegte Heike den halben Tag, ob Silvie sich die verschwundenen Klamotten womöglich aus den Fingern gesaugt hatte, um Alex reinzuwaschen. Es hätte zu Silvie gepasst, für die war Alex immer über jeden Zweifel erhaben gewesen, obwohl er auch sie monatelang mit Janice betrogen hatte. Aber wenn es nicht frei erfunden war, musste man sich fragen, was Lothar sich dabei gedacht hatte, sie aufzufordern, die Satinhose und die High Heels ebenfalls auf ihre Kappe zu nehmen.
Schließlich griff sie zum Telefon, rief Lothar an und bestellte ihn für den frühen Abend in ihre Wohnung, wo sie ungestört unter vier Augen reden konnten. Silvie musste er das nicht unbedingt auf die Nase binden. Wenn er eine Eifersuchtsattacke befürchtete, hätte er Besorgungen für seine Mutter vorschieben können, um sich daheim loszueisen. Frau Steffens belegte ihn so oft mit Beschlag, dass eine Tour mehr oder weniger nicht auffiel, selbst wenn Silvie mal bei ihrer Schwiegermutter nachgefragt hätte.
Lothar kam kurz vor sieben. Heike war gerade mit ihrer täglichen Abrechnung fertig geworden und die Rindsroulade mit Rotkohl und Kartoffelpüree im Wasserbad heiß genug. In ihrer Miniküche war nicht mal Platz für eine Mikrowelle, die nur einen Bruchteil des Stroms gefressen hätte, den eine der Herdplatten brauchte, um eine Schale mit Fabrikfraß zu erhitzen.
Sie führte Lothar ins Wohnzimmer, legte die Kladde, in der sie fein säuberlich Einnahmen und Ausgaben festhielt, ins Schubfach der Anrichte und ging in die Küche, um ihr Abendessen aus dem Topf zu fischen. Normalerweise machte sie sich nicht die Mühe, einen Teller aus dem Hängeschrank zu nehmen, aß direkt aus der Pappschachtel oder vom Plastik. Diesmal leistete sie sich den Luxus, von Porzellan zu speisen, damit Lothar nicht annahm, sie habe keine Spur von Esskultur mehr.
Als sie mit Teller und Besteck zurück ins Wohnzimmer kam, stand er noch neben dem Couchtisch. «Setz dich doch», sagte sie und deutete auf einen Sessel, ehe sie selbst auf der Couch Platz nahm und sofort zur Sache kam.
Während sie danach zu essen begann, bestätigte er im Großen und Ganzen, was Silvie von sich gegeben hatte. Eine mysteriöse Geschichte nannte er es und betonte, ihm sei in der Nacht damals nicht aufgefallen, dass Janice’ Sachen nirgendwo lagen.
Das leuchtete Heike noch ein, mehr allerdings nicht. «Wieso hast du mir das nie gesagt?», wollte sie wissen. «Wieso hast du von mir verlangt, ich
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