Die Schuldlosen (German Edition)
in Schwierigkeiten zu bringen?
Sie hatten die Pützerstraße erreicht, er zögerte, Saskia mit zum Auto zu nehmen. Keinen unnötigen Ärger provozieren, lieber zu klären versuchen, was vorgefallen oder plötzlich in Heike gefahren war. «Pass auf, Süße», sagte er und ging vor ihr in die Hocke. «Ich kläre das. Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln. Ich fahre jetzt zu Heike und rede mit ihr.»
«Darf ich mitkommen?»
«Lieber nicht», sagte er. «Tun wir erst mal so, als würden wir beide gehorchen und hätten uns nicht gesehen. Das schaffst du bestimmt, ich verlasse mich auf dich.»
Sie nickte tapfer, wischte sich mit einem Jackenärmel die Tränen von den Wangen. «Kommst du denn morgen wieder?»
«Wirst du zur Schule gebracht?», fragte er seinerseits.
Sie nickte erneut. «Heute musste Onkel Wolfgang mich fahren. Morgen ist Opa dran.»
«Na, vielleicht hat es sich morgen schon erledigt», meinte er. «Wenn Opa dich trotzdem fährt, warte ich mittags auf dich, ich stehe aber auch morgens bei der Sakristei, einverstanden?»
Sie nickte zum dritten Mal.
«Dann lauf», sagte er. «Und bleib schön an der Seite.»
Nicht ganz zehn Minuten später betrat er Heikes Kaffeebüdchen . Der Zeitpunkt war relativ günstig. In der nächsten halben Stunde kam nur wenig Kundschaft, und niemand hielt sich länger auf. Sie hätten sich ohne weiteres aussprechen können. Aber Heike wollte nicht mit ihm reden – jetzt nicht mehr. Ihr reichte die Unterhaltung, die sie am vergangenen Abend mit Lothar geführt hatte.
Ehe er sich verabschiedete, hatte Lothar noch einige unerfreuliche Aspekte vorgebracht. Da wäre einmal die Seite der Justiz, wenn jetzt berechtigte Zweifel an Alex’ Schuld auftauchen sollten.
«Sie hatten dich damals im Visier. Auf wen, glaubst du, werden sie sich heute stürzen? Du warst mit Saskia allein in der Wohnung, als ich Alex heimbrachte. Kann jemand bezeugen, dass du den ganzen Abend zu Hause gewesen bist? Du hattest ein Motiv, vergiss das nicht.»
Und man sollte auch bedenken, wie Alex sich verhalten würde, wenn er zu der Ansicht gelangte, dass er unschuldig gesessen hatte.
«Leicht war es bestimmt nicht für ihn», hatte Lothar gesagt. «Ein attraktiver junger Mann, der in seiner Kindheit ausstaffiert wurde wie ein Mädchen. In eurer Beziehung hat er widerspruchslos die Frauenrolle übernommen. Das musste er im Knast garantiert auch tun. Es dürfte ihm dort nur nicht so gut gefallen haben wie bei dir. Für seine Mithäftlinge war er Frischfleisch.»
Es war einiges zusammengekommen, worüber Heike lieber nicht nachgedacht hätte. Dabei hatte sie die halbe Nacht genau das getan, kaum geschlafen, nur blutige Bilder durchs Hirn gewälzt und sich drei Dutzend Schrecken ausgemalt.
Egal, wie Alex nun ansetzte, egal, was er vorbrachte, von Heike hörte er nur: «Verschwinde.» Schließlich drohte sie, die Polizei zu rufen, wenn er nicht auf der Stelle ging.
Er ging nicht. Und sie schnappte sich ihr Handy, hielt sich nicht lange mit dem Notruf auf, sondern wählte die Nummer der Wache und sagte: «Heike Jentsch, ja, aus dem Kaffeebüdchen. Könnt ihr mal schnell einen Wagen bei mir vorbeischicken? Ich habe hier einen unliebsamen Kunden, der trotz wiederholter Aufforderung einfach nicht gehen will. Er drohte, handgreiflich zu werden. Ich musste mich im Klo verbarrikadieren.» Beim letzten Satz zog sie sich in den winzigen Waschraum mit Toilette zurück und verriegelte die Tür.
Er wartete, dass sie wieder zum Vorschein käme, bis draußen ein Streifenwagen vorfuhr. Zwei Polizisten stiegen aus, schauten sich aufmerksam um und kamen herein. Einer rief: «Frau Jentsch!», woraufhin Heike endlich aus dem Klo kam und die Lage mit wenigen Worten erläuterte.
«Sag auch gleich, warum ich noch hier bin und was ich von dir will», verlangte er, wandte sich seinerseits an die Polizisten und erklärte: «Ich will nur wissen, warum sie unserer gemeinsamen Tochter gestern Abend den Umgang mit mir wieder verboten hat, nachdem Saskia am Montag und am Dienstag bei mir war. Ich dachte, es wäre alles in Ordnung.»
«Ich habe meine Gründe», sagte Heike nur.
Und offenbar reichte das. Er fasste es nicht, aber er war auf der ganzen Linie im Unrecht, durfte sich auch nicht länger im Kaffeebüdchen aufhalten, um eine detaillierte Erklärung einzufordern. Wenn Heike ihn hier nicht zu sehen wünschte, war es Hausfriedensbruch. Die Polizisten baten ihn höflich, aber nachdrücklich, sie ins Freie zu
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