Die Schuldlosen (German Edition)
Konto angesammelt.
Ein billiges Kartenhandy gönnte Alex sich auch und bestand darauf, dass es sofort für eine Stunde an den Strom gehängt wurde. In der Zeit kaufte er anderswo noch ein paar Kleinigkeiten. Als er das Teil wieder in Empfang nahm, fühlte er sich einigermaßen gewappnet, konnte notfalls Frau Doktor Brand erreichen. Wen er sonst anrufen sollte, wusste er nicht.
Seine Mutter lag seit sechs Jahren bei ihren Eltern und der unersetzlichen Alexa. Der eiserne Heinrich war ihr vor zwei Jahren gefolgt. Seitdem war die Villa Schopf unbewohnt, und laut dem Testament seiner Mutter gehörte sie ihm. Albert verwahrte die Schlüssel, doch bei dem meldete er sich lieber nicht an.
Vor seiner Inhaftierung hatte er nur wenig, in den letzten Jahren gar keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder und dessen Familie gehabt. Wichtige Nachrichten wie der Tod seines Vaters und der Termin für die Beisetzung waren ihm durch die Anwältin übermittelt worden. Nun hoffte er, dass seine Schwägerin zu Hause war und er die Schlüssel zur Villa in Empfang nehmen konnte.
Es wäre ihm lieber gewesen, Frau Doktor Brand hätte ihm den Weg abgenommen. Aber sie fand, es sei seine Familie und seine Sache. Sie hatte ihnen den Entlassungstermin mitgeteilt, aber leider eine falsche Ankunftszeit genannt, weil sie nicht erwartet hatte, dass er sich sofort ins Getümmel stürzen und zuerst einen Großeinkauf machen wollte.
Nachdem Greta Brand ihn zweimal beim Freigang begleitet hatte, war sie zu der Ansicht gelangt, er sei menschenscheu und misstrauisch geworden. Sie hatte ihn sogar ermahnt, sich nicht in der Villa zu verkriechen. Er war doch jetzt wieder ein freier Mann in einem freien Land. In einem Rechtsstaat gelte jede Schuld nach Verbüßung der Strafe als getilgt, hatte sie gesagt.
Dass er für den Gebrauchtwagenhändler überhaupt nicht und für Janice Heckler nicht zu Ende gebüßt hatte, nahm die Anwältin nicht so wichtig. Sie meinte, er verdiene wie jeder andere die Chance, sein Leben nun nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Schöne Worte. Er wollte sie beherzigen, vor allem den letzten Satz, auch wenn er noch nicht die leiseste Vorstellung von der zukünftigen Gestaltung seines Lebens hatte.
Mit der S-Bahn fuhr er nach Grevingen. War ein komisches Gefühl. Er erinnerte sich unweigerlich an frühere Fahrten beziehungsweise die Ankunft. Damals war er beim Bund gewesen, auch immer erst weit nach Mittag angekommen mit einer großen Segeltuchtasche in Natooliv. Jetzt trug er ein halbes Dutzend Plastiktüten mit Markenlogos, in denen seine Neuerwerbungen verstaut waren.
Die Reisetasche mit den wenigen Habseligkeiten, die er in der Zelle bei sich gehabt hatte, war im Wagen der Anwältin zurückgeblieben. Die wollte er sich irgendwann nächste Woche abholen. Wenn Frau Doktor sie ihm bis dahin nicht vorbeibrachte. Er war ziemlich sicher, dass sie bald bei ihm auftauchen würde, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass es ihm gutging und er unbehelligt von einer möglicherweise aufgebrachten Dorfbevölkerung eine ruhige Kugel schieben konnte. Greta Brand hatte einen Narren an ihm gefressen, das stand fest.
Die S-Bahn-Station hatte sich während seiner Abwesenheit nicht verändert, wenn man davon absah, dass die Unterführung, die von Gleis 3 zum Vorplatz führte, vergammelter und beschmierter und der Parkplatz erweitert worden war. Er warf einen kurzen Blick hinüber und schätzte, dass doppelt so viele Autos dort standen wie früher.
Dann konzentrierte er sich auf die Leute, die mit ihm aus der Bahn stiegen. Eine Horde Frauen mittleren Alters, zwei Rentner und ein paar Jugendliche. Bekannte Gesichter waren nicht dabei. Ihn schien auch keiner zu kennen. Und da kein M auf seinem Lederjackenrücken stand, schenkte ihm niemand besondere Beachtung. Mit den Tüten sah er aus wie einer, der sich in Köln für Herbst und Winter eingekleidet hatte.
Die Leute zerstreuten sich rasch. Die Jugendlichen liefen zu den Bushaltestellen gegenüber dem alten Bahnhofsgebäude, das seit langem nicht mehr genutzt wurde und deutliche Zeichen von Verfall zeigte. Die beiden Männer und einige Frauen gingen zum Parkplatz, fünf oder sechs steuerten Heikes Kaffeebüdchen an.
Er schlug einen weiten Bogen um das Blockhaus mit der großzügig verglasten Vorderfront. Vor ewigen Zeiten war das eine stinknormale Imbissbude gewesen. Dann hatte Heike Jentsch, die Nichte von Franziska Welter, den heruntergekommenen Schuppen übernommen und ihr blitzsauberes
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