Die Schuldlosen (German Edition)
wäre. Natürlich fragte er nicht.
Mit dem Einkaufswagen brachte er Kartons und Tüten ins Freie und rief sich ein Taxi. Der Fahrer, ein Inder, half ihm bereitwillig, alles im Kofferraum zu verstauen, und ließ sich erklären, wie er zur Villa Schopf in Garsdorf kam. Während der Fahrt versuchte der Mann, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Erzählte, wie lange er schon in Deutschland lebte, dass er zwei Kinder habe und von Beruf eigentlich Koch sei. Alex schwieg. Was hätte er erwidern sollen, den Mann mit seinem Lebenslauf schockieren?
Am Ziel angekommen, probierte der Taxifahrer sein Glück noch einmal. Sämtliche Fensterläden waren geschlossen. Da brauchte es nicht viel Phantasie für die Feststellung, in dem großen Haus sei Platz für eine sehr große Familie, aber es sähe verlassen aus.
«Das täuscht», sagte Alex. «Es ist voller Geister.»
Er entlohnte den Mann mit einem großzügigen Trinkgeld, allerdings kam der nach dem Hinweis auf Geister trotz seiner Neugier nicht auf die Idee, ihm beim Reintragen der Sachen zu helfen.
War vielleicht besser so. Geister putzten nicht und schalteten auch keine Sicherungen ein. Wenigstens das hätte sein Bruder für ihn tun oder veranlassen können, fand er, nachdem er zweimal vergebens auf die Lichtschalter in der Eingangshalle gedrückt hatte.
Albert hatte einen Hausmeisterdienst damit beauftragt, in der Villa nach dem Rechten zu sehen und die Außenanlagen in Schuss zu halten. Das wusste er, weil ihm in den letzten beiden Jahren die Kosten für diesen Dienst vom Unterhalt abgezogen worden waren. Vorher hatte sein Vater dafür blechen müssen. Es hätte Albert nur einen Anruf gekostet, den Leuten Bescheid zu sagen, ab wann das Haus wieder bewohnt wurde. Wahrscheinlich hatte er das sogar getan, aber bloß mitgeteilt, der Besitzer werde dann selbst den Rasen schneiden.
Notgedrungen machte er die erste Runde durchs Erdgeschoss bei weit offener Haustür, um überall die Läden aufzustoßen und auch gleich ein paar Fenster aufzureißen. Dann öffnete er die Kellertür und blickte missmutig in den schwarzen Schacht. Unsicher tappte er hinunter.
Seit er die Kellertreppe zuletzt benutzt hatte, schienen zwei Ewigkeiten vergangen. Von vertrautem Boden konnte man wahrhaftig nicht sprechen. Auf den ersten Stufen gab es dank der aufgestoßenen Läden noch eine schwache Ahnung von trübem Tageslicht, der Rest lag im Dunkeln. Am Fuß der Treppe herrschte völlige Finsternis, und der Keller war verdammt groß.
Zum Glück wusste er noch, wo der Sicherungskasten zu finden war. Den Gang hinunter, dann nach links Richtung Heizung, wo er auch hinmusste. Nach zwei Jahren ohne Leben war das Haus ausgekühlt und klamm wie eine Gruft. Fast eine Viertelstunde brauchte er, ehe er den Strom eingeschaltet und die alte Brikettheizung angefeuert hatte. Zum Glück lag im Nebenraum noch genügend Heizmaterial für die nächsten Wochen.
Wieder zurück im Erdgeschoss, drehte er ein paar Heizkörper auf und machte sich an die Arbeit. Zuerst wusch er den Kühlschrank mit Essigwasser aus, schaltete ihn ein und verstaute auch gleich die Lebensmittel darin, die gekühlt werden mussten. Den Rest trug er in die Speisekammer, ließ aber alles in den Kartons, weil er die Vorratsregale und das ganze Drumherum erst gründlich sauber machen wollte. Die Klamotten aus den Tüten hängte er fürs Erste in die Garderobe, damit sie nicht völlig zerknitterten. Dann kümmerte er sich um einen Schlafplatz.
In seinem früheren Zimmer lag wie überall im Haus der Staub von Jahren. Niemand war auf die Idee gekommen, wenigstens das Bettzeug abzudecken. Aber wer hatte sich denn nach dem Tod seiner Mutter hier noch für irgendetwas zuständig gefühlt?
Albert hatte anscheinend befürchtet, auf den vier Kilometern Landstraße die Orientierung zu verlieren, wenn er mal kontrolliert hätte, ob der Hausmeisterdienst zuverlässig arbeitete. Oder er hatte darauf verzichtet, weil man unweigerlich am Elternhaus von Janice Heckler vorbeimusste, wenn man zur Villa Schopf wollte. Die Breitegasse war eine Sackgasse, sie endete bei der Villa. Das Heckler-Haus stand nur rund hundert Meter entfernt. Und sonst gab es hier draußen nur noch die Lauben in den Schrebergärten zwischen den beiden bebauten Grundstücken.
Es war ein blödes Gefühl, am Heckler-Haus vorbeizufahren. Das hatte er eben im Taxi am eigenen Leib gespürt. Doch ihn plagten auch ganz andere Erinnerungen als Albert, der Janice Heckler gar nicht gekannt hatte.
Der
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