Die Schuldlosen (German Edition)
die Dorfmatratze einfach nicht verzeihen konnte.
Bernd Leunen blieb einsilbig. Und Dina Brelach meinte, seinem anfänglichen Bericht eine gewisse Sympathie für Alex Junggeburt entnommen zu haben. Deshalb erklärte sie auf dem letzten Kilometer, das durchbohrte Herz aus geköpften Rosen passe viel besser zu einem enttäuschten Liebhaber als zu einem Vater, der sich nur vor Sehnsucht nach seiner Tochter verzehre, was natürlich auch ein gutes Motiv war. Aber ein Liebhaber hätte weitaus häufiger die Gelegenheit gehabt, Schlüssel an sich zu bringen, als ein Mann, der nur letzte Woche Dienstag einmal hereingelassen worden war, wobei Heike Jentsch ihn kaum aus den Augen gelassen haben dürfte.
Bernd Leunen fühlte sich durchschaut und fragte sich, ob die scheinbar so nette und umgängliche Kölner Kollegin das ernst meinte. Oder ob sie ihn mit dieser These nur beschwichtigen wollte, weil sie erkannt hatte, wie sehr ihm Heikes Tod zu schaffen machte, dass er sich irgendwie persönlich verantwortlich fühlte.
Kurz darauf hielt er am Straßenrand vor der Bäckerei Jentsch.
Gerhild werkelte in der Küche herum, ohne zu wissen, was sie eigentlich tat. Es ging nur darum, die Hände zu beschäftigen und die Augen abzulenken von dem nackten Körper in der Wanne und den blicklosen Augen. Martha lag unverändert auf der Couch und weinte still vor sich hin. Franziska leistete ihr immer noch Gesellschaft. Wolfgang hatte seinen Vater zurück in die Backstube geschleift und versuchte dort ihn und sich selbst mit Arbeit abzulenken. Die Jungs waren mit dem letzten Bus zur Schule gefahren, beide Aushilfen waren geblieben und standen im Laden, um Kundschaft zu bedienen und eventuell Fragen abzuwehren. Aber bis Garsdorf hatte sich Heikes Tod noch nicht herumgesprochen. Was sich nach dem Auftauchen der Polizei schnell ändern konnte.
Bernd Leunen trat sehr formell auf und konnte Gerhild nicht ins Gesicht schauen. Für ihn war es eine unmögliche Situation, peinlich bis an die Grenze des Erträglichen. In spröden Worten drückte er ihr sein Mitgefühl aus, murmelte etwas von ein paar Fragen und stellte seine Begleiterin vor.
Gerhild offerierte Kaffee und frische, noch warme Apfeltaschen. Ein Angebot, das dankend angenommen wurde. Dann saßen sie an dem großen Küchentisch. Während Dina Brelach ebenfalls ein paar Sätze des Bedauerns zum tragischen Verlust und den unangenehmen Begleiterscheinungen – sprich Polizei mit Unmengen von Fragen – verlor, nippte Bernd Leunen an seiner Tasse und biss ein so winziges Stückchen von seiner Apfeltasche ab, als seien Kaffee und Gebäck noch glühend heiß. Auf die Weise überspielte er seine Verlegenheit.
Dina Brelach nahm an, die Familie könne mehr über Heikes Liebhaber erzählen als eine neugierige Nachbarin, die nur mit einem Ohr an der Wand und mit einem Auge am Türspion klebte, wenn sie von nebenan etwas mitbekam. Doch bevor sie mit ihren Fragen beginnen konnte, musste sie zwei beantworten.
Gerhild wollte wissen, woran Heike gestorben war.
«Das können wir noch nicht mit Sicherheit sagen.» Damit kehrte Dina Brelach den offenen Schädelbruch unter den Tisch und nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee.
«Es war doch nicht wirklich ein Unfall», hakte Gerhild nach.
«Das wissen wir noch nicht, Frau Jentsch», wich Dina Brelach aus und war damit schon beim Thema Männer. «Wir gehen davon aus, dass Ihre Schwägerin gestern Abend Besuch hatte. Der könnte uns wahrscheinlich mehr erzählen.»
«Besuch?», echote Gerhild in einem Ton, als tippe die Polizei auf Außerirdische.
«Ein Mann», wurde Dina Brelach präziser. «Vermutlich ein Freund. Sie hatte doch bestimmt einen Freund.»
Gerhild zuckte mit den Achseln.
Die Ahnungslosigkeit kaufte Dina Brelach ihr nicht ab. «Eine Nachbarin konnte zwei Männer beschreiben, die sie in letzter Zeit vor der Wohnung Ihrer Schwägerin gesehen hat.»
«Zwei?», wiederholte Gerhild ungläubig und schockiert.
«Einer war mittelgroß und untersetzt», begann Dina Brelach. «Die Nachbarin schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig.» Dass Rita Zumhöfer den Untersetzten Anfang des Monats zuletzt gesehen und im Hausflur um ein halbes Stündchen hatte betteln hören, weil er mit Heike Urlaub machen und die Einzelheiten erläutern wollte, aber nicht eingelassen wurde, erwähnte sie nicht.
«Das könnte der biedere Handwerker sein», mutmaßte Gerhild. «Ich meine, Heike hätte mal erwähnt, er sei sieben Jahre älter als sie, also müsste er
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