Die Schuldlosen (German Edition)
Türklinken, den Duschvorhang und Heikes Knie. Ach ja, und ihr Kinn. Ich wollte ihr Gesicht sehen und hab versucht, den Kopf zu drehen. Das ging kaum noch, sie war schon steif.» Damit liefen erneut die Tränen.
Zwei, drei Minuten weinte Gerhild still vor sich hin, dann schaute sie wieder die junge Hauptkommissarin an. «Was wird denn jetzt? Ich muss doch bestimmt einen Bestatter informieren, der Heike abholt.»
«Darum kümmern wir uns», sagte Dina Brelach. «Sie bekommen Bescheid, wenn die Leiche freigegeben wird.» Sie erhob sich. Bernd Leunen folgte ihrem Beispiel.
Gerhild stand ebenfalls auf und führte sie zurück in den Laden, wo sie zwei große Tüten mit frischem Kleingebäck füllte. Eine bekam Dina Brelach, die andere Bernd Leunen. Als Beamtenbestechung konnte man es kaum bezeichnen, höchstens als den Versuch, das Unausweichliche ein wenig hinauszuschieben. Mit den Tüten in den Händen musste es aussehen, als hätten Bernd Leunen und Dina Brelach nur eingekauft.
Alex wartete seit dem Morgen auf die Polizei – allein. Zwar hatte er auf dem Rückweg von der Schule überlegt, sich sofort um anwaltlichen Beistand zu bemühen. Wenn sie es hätte einrichten können, hätte Frau Doktor Brand sich garantiert sofort auf den Weg nach Garsdorf gemacht. Aber wie hätte das ausgesehen? Und wie hätte er erklären sollen, auf welche Weise er von Heikes Tod erfahren hatte?
Die halbe Zeit hielt er sich in den zur Straße liegenden Räumen auf, putzte die Fenster, wischte Staub, saugte die Teppiche und ließ sich zweimal von einem sauteuren Telefondienst mit dem Anschluss Steffens verbinden, in der Hoffnung, dass Silvie etwas Genaueres wüsste. Es ging aber keiner ran. Und Silvies Handynummer kannte er nicht.
Er spielte sogar mit dem Gedanken, ins Dorf zu fahren und ein bisschen was einzukaufen: ein frisches Graubrot und zwei Stück Reistorte, wenn es denn heute welche geben sollte, was er nicht glaubte. Und wenn in der Zeit die Polizei kam, und es öffnete keiner, dachten die am Ende, er hätte die Flucht ergriffen.
Als endlich der Streifenwagen vorfuhr, war er beinahe erleichtert. Bernd Leunen am Steuer zu erkennen trug weiter dazu bei, ihn zu beruhigen. Und als auf der Beifahrerseite eine junge Frau ausstieg, schimpfte er sich selbst einen Idioten, der sich in die Hosen machte, noch ehe ihm einer dumm gekommen war. Mit Bernd und diesem Schnuckelchen wurde er fertig, keine Frage.
Während die beiden auf die Haustür zukamen, huschte er in die Eingangshalle und die Treppe hinauf. Dann wartete er auf dem letzten Treppenabsatz, bis die Türklingel anschlug, ließ sie ein zweites Mal klingeln, ehe er sich wieder nach unten bequemte. Als er die Haustür öffnete, wusste er genau, wie er sich verhalten musste, um möglichst unverdächtig zu wirken.
Er bedachte Bernd Leunen mit einem gequälten Blick, schenkte dem Schnuckelchen ein kleines, bitteres Lächeln und sagte, ehe Bernd den Mund aufmachen oder die Frau sich selbst vorstellen konnte: «In polizeilicher Begleitung zu erscheinen wäre aber nicht unbedingt nötig gewesen. Ich bin gar nicht so gefährlich, wie allgemein behauptet wird.»
«Ich bin die Polizei», erwiderte sie. «Brelach, Kripo Köln. Herr Leunen ist die Begleitung, weil er sich hier auskennt.»
«Ups», sagte Alex und ersetzte das bittere Lächeln durch die Miene eines Mannes, der um das Fettnäpfchen weiß, in das er soeben getreten ist. «Familie Jentsch fährt schwere Geschütze auf. Kripo. Ich dachte, Sie kämen vom Jugendamt oder dem Familiengericht, um festzustellen, ob ich geeignet bin, meiner Tochter nachmittags einen Kakao zu kochen, oder um mir den Wisch zu übergeben, auf dem steht, dass ich mich mindestens hundert Meter von Saskia fernzuhalten habe.»
Ihre Miene ließ nicht erkennen, ob sie ihm die Ahnungslosigkeit abnahm. «Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen», sagte sie. «Wir haben keinen Wisch, nur ein paar Fragen an Sie. Dürfen wir trotzdem reinkommen?»
«Aber sicher.» Er trat einen Schritt zur Seite und zeigte mit ausgestrecktem Arm einladend in die Halle.
Noch während er die Haustür wieder schloss, fragte Dina Brelach: «Wo waren Sie gestern Abend zwischen neun Uhr und Mitternacht, Herr Junggeburt?»
«Hier», sagte er, ging vor ihnen her ins Fernsehzimmer und zeigte auf das Sofa. «Bis kurz vor elf genau hier, danach bin ich ins Bett gegangen. Abends bin ich immer zu Hause. Man hat mich gewarnt, dass ich Prügel beziehe, wenn ich mich im Dorf
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