Die Schuldlosen (German Edition)
Mariechen?», fragte Franziska.
Darauf bekam sie keine Antwort. Gottfried wollte nur wissen: «Muss die Tür sperrangelweit aufstehen?»
«Das Gestell vom Kinderwagen steht noch draußen», sagte Franziska. «Ria fährt das Auto weg, dann bringt sie den Rest.»
Gottfried holte das Gestell mit den Rädern herein und drückte die Tür bis auf einen Spalt zu. Dann gingen sie in die Küche, plapperten dem Baby abwechselnd Unsinn vor und warteten auf Ria, bis es Gottfried zu dumm wurde. «Wo parkt sie denn?»
Nicht in Garsdorf.
Gottfried ging schließlich wieder nach oben, zog warme Sachen an und suchte das ganze Viertel nach einem dunklen englischen Auto ab. Vergebens. Als er zurückkam, weigerte er sich, in der Grevinger Polizeiwache anzurufen und zu fragen, ob’s einen Unfall gegeben hätte.
«Ich mach mich doch nicht lächerlich. Wenn’s gekracht hätte, dann hier um die Ecke. Das hätten wir gehört. Die ist garantiert nach Grevingen gefahren, mal sehen, ob es die Diskothek noch gibt, in der sie früher immer erwischt wurde.»
Angesichts der Ausstattung, mit der Ria ihr Kind abgeliefert hatte, schien das in dem Moment auch Franziska eine plausible Erklärung. In der Reisetasche lagen nur ein paar Hemdchen und Höschen für Silvie, zwei Strampler, einige Wegwerfwindeln, zwei Fläschchen mit Saugern, ein Päckchen Milchpulver und ein Ersatzschnuller. Danach zu urteilen, musste Ria in den nächsten Stunden zurückkommen und die restlichen Sachen abliefern.
Gottfried baute den Kinderwagen zusammen und ging ins Bett. Wofür Franziska im Stillen dankbar war. Sie mussten wirklich nicht zu zweit auf Ria warten. Es musste doch nicht gleich wieder Krach geben. Dass Gottfried Ria den Kopf zurechtsetzen würde, stand außer Frage.
Franziska legte Silvie in den Kinderwagen, deckte sie zu und schob sie ins Wohnzimmer. Dort war es wärmer als oben, wo nur das Bad beheizt wurde. Natürlich blieb sie ebenfalls unten, holte sich nur schnell das Kopfkissen und eine Decke von ihrem Bett und machte es sich damit auf der Couch bequem.
Kaum hatte sie das Licht ausgemacht, begann Silvie zu quengeln. Offensichtlich hatte sie Hunger und war mit dem Schnuller nicht länger zufrieden. Franziska schob sie zurück in die Küche und machte sich an die Zubereitung einer Mahlzeit.
Das Milchpulver war in England gekauft worden. Wahrscheinlich gab es auf der Packung genaue Anweisungen, wie man ein Fläschchen zubereiten musste. Franziska konnte sie allerdings nicht verstehen, abgesehen von den Mengenangaben, aber das reichte schon. Silvie war mit der improvisierten Mahlzeit zufrieden, machte brav ein Bäuerchen und schlief schon fast, als Franziska sie wieder hinlegte.
Franziska dagegen machte in der Nacht kein Auge zu, in den folgenden Nächten war es um ihren Schlaf nicht besser bestellt. An Silvie lag es nicht. Die war mit einem letzten Fläschchen zwischen zehn und elf zufrieden bis zum nächsten Morgen, wenn Gottfried zur Arbeit musste. Es lag an Ria, die einfach nicht zurückkam.
Franziska begriff das nicht. Wie konnte Ria auf Tour gehen, nachdem sie ihr Kind bei den Eltern abgeliefert hatte mit nichts weiter als dem Kinderwagen und den paar Sachen in der Tasche? Kein warmes Jäckchen oder Mützchen, nichts, was man Silvie hätte anziehen können, um mal mit ihr vor die Tür zu gehen. Dabei war immer noch herrliches Wetter, frostig, aber sonnig. Der Schnee trocknete förmlich weg. Und Franziska musste doch einmal täglich für eine halbe Stunde zu Mariechen.
Gottfried brachte in den folgenden Tagen ein paar Sachen aus Grevingen mit. So konnte Franziska den Kinderwagen wenigstens zum Friedhof und mal zur Bäckerei Jentsch schieben, wo ihre Nichte Heike völlig außer sich geriet. «Och, wie süß. Darf ich sie mal nehmen? Ich halte sie auch gut fest.»
Als das Milchpulver zur Neige ging, fragte Franziska in der Nachbarschaft um Rat. Frau Steffens hatte ihren Lothar auch nicht gestillt, wusste noch, welche Fertignahrung für welches Alter richtig war, und stellte gerne ein paar Hemdchen und Strampler von Lothar zur Verfügung.
Nach einer Woche, in der sie nichts von Ria gehört hatte, fasste Franziska sich ein Herz und rief auf dem Nato-Stützpunkt in England an. Eine Telefonnummer hatte sie und erreichte den General auch unter dieser Nummer. Er fiel aus allen Wolken, war bei einer Übung gewesen, als Ria ihre Sachen und ihr Kind gepackt hatte. Vorgestern hatte sie ihn angerufen und behauptet, sie sei mit Silvie bei ihren Eltern
Weitere Kostenlose Bücher