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Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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zu dem auch Lothar hatte antreten müssen. Die beiden Jungs waren gleichaltrig. Dass «der kleine Junggeburt» den Test bestanden hätte, glaubte Frau Steffens nicht. Er hatte doch nie den Kindergarten besucht, wo mit den Vorschulkindern sehr viel geübt worden war. Aber er sei manierlich wie ein Junge gekleidet und die Haare seien kurz gewesen.
    Franziska hörte eigentlich nur: wie ein Junge gekleidet und die Haare kurz. Und im Grunde ihres Herzens war sie erleichtert, sich nicht eingemischt zu haben.

    Anders als erwartet, bestand Alexander Junggeburt den Einschulungstest ebenso wie Lothar Steffens, dessen Mutter Franziska auch weiterhin auf dem Laufenden hielt. Frau Steffens war immer bestens über die schulischen Belange informiert, weil sie sich gleich beim ersten Elternabend zur Klassenpflegschaftsvorsitzenden wählen ließ und engen Kontakt zu anderen Eltern und der Klassenlehrerin Frau Sattler hielt.
    Bis zum Schulbeginn nach den Sommerferien waren die Haare bei Alex – wie er nun von den meisten genannt wurde – wieder ein gutes Stück nachgewachsen. Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, hätte sogar der Mode entsprochen, wenn man nur die Seitenpartien kurz gehalten hätte. Lothar trug auch Vokuhila mit einem Rattenschwänzchen im Nacken. Bei Alex reichten die Seitenpartien jedoch bis zum Kinn.
    Es machte ihn nervös, wenn ihm die Haare ins Gesicht fielen, sobald er den Kopf über die Tafel oder ein Arbeitsblatt beugte. Der Klassenlehrerin fiel das schon in den ersten Tagen auf, und Frau Sattler scheute sich nicht, in der Villa anzurufen.
    Dort bekam man immer nur die Haushälterin an die Strippe, die versprach, sich darum zu kümmern – was Frau Schmitz auch tat. Und was dabei herauskam, brachte die treue Seele dermaßen auf die Palme, dass sie zum ersten Mal die Loyalität gegenüber ihrer Arbeitgeberin und die damit einhergehende Schweigepflicht fürs Personal vergaß. Sie erzählte es einer Bekannten im Dorf, die es ihrerseits in der Bäckerei Jentsch ausplauderte, wo Franziska es anschließend von Martha hörte.
    Frau Schmitz hatte nach dem Anruf der Lehrerin umgehend mit Helene über das Problem des Jungen gesprochen und verlangt, sofort noch einmal und dann regelmäßig mit ihm zum Friseur zu gehen. Das hatte Helene strikt abgelehnt und damit begründet, Frauen würden nur halb so viel Schaden anrichten wie Männer, es sei also vernünftiger, einen Jungen wie ein Mädchen zu erziehen.
    Helene gab ihrem Sohn zwei Hornspangen, mit denen er die langen Seitenpartien über den Ohren feststecken sollte. Die Spangen hatte vor vielen Jahren seine verstorbene Schwester getragen, was Helene ihm auch erzählte. Damit nicht genug: Helene erklärte ihm außerdem, sie leide schrecklich unter Alexas Verlust. Aber wenn er wie Alexa sei, täte es ihr nur halb so weh.
    Da brauchte man sich über gar nichts mehr zu wundern, fand Franziska, als sie davon hörte. Man durfte wohl annehmen, dass der kleine Alex seine Mami liebte und nicht wollte, dass sie leiden musste. Aber ebenso wenig wollte er von anderen Kindern verspottet und gehänselt werden.
    Am nächsten Morgen steckte er die Spangen in seinen Ranzen. Frau Schmitz sorgte immer dafür, dass er eine Hose anzog und eines von den Hemden, die seine Schwägerin Cecilia für ihn gekauft hatte. Frau Schmitz kontrollierte auch, dass er keine Söckchen mit aufgestickten Blumen oder Spitzeneinsatz trug, wenn sie ihn zur Schule schickte. So früh am Morgen schlief Helene meist noch. Seinen Ranzen kontrollierte Frau Schmitz leider nicht. Sonst hätte sie ihm gesagt, dass es keine gute Idee war, Alexas Hornspangen mit zur Schule zu nehmen.
    Als er den Klassenraum betrat, sah er noch aus wie Mireille Mathieu in sehr jungen Jahren. Er setzte sich auf seinen Platz, nahm die Spangen aus dem Ranzen, steckte die Haare über den Ohren fest. Und sofort ging hinter ihm das Getuschel und Gekicher los.
    Zuerst lachten nur ein paar Mädchen, die den Rest der Bande auf seinen Haarschmuck aufmerksam machten. Und Lothar Steffens erdreistete sich schließlich aufzuspringen, Alex eine der unersetzlichen Kostbarkeiten vom Kopf zu reißen und hoch über dem eigenen Kopf damit herumzufuchteln, um allen zu zeigen, worüber hier gelacht wurde.
    Frau Sattler sorgte für Ruhe und veranlasste Lothar, die Spange sofort zurückzugeben. Doch damit war die Sache für Alex nicht aus der Welt. An dem Tag kam Lothar zum ersten Mal mit blutiger Nase, einer aufgeplatzten Lippe und einem Riss in der

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